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Was danach geschah

Was danach geschah

Titel: Was danach geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kimmel
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die Rettungsweste abzulegen, die anzuziehen mich meine Eltern gezwungen hatten, weil man mit einem Arm eigentlich nicht schwimmen kann.
    Doch mein wunderschöner Traum von der Segeltour mit meinem Großvater verwandelte sich plötzlich in einen Alptraum – den Alptraum, von dem Amina Rabun oft aufgewacht war. Weil ich Amina Rabuns Erinnerungen als meine eigenen erlebte, erlebte ich diesen Alptraum, als wäre ich Amina.
    In diesem Alptraum spielen mein kleiner Bruder Helmut und ich – als Amina – neben einem Sandkasten, den unser Vater aus farbigen Backsteinen hinter unserem großen Haus gebaut hat. Dieses steht auf einem großen Grundstück am Rande des Waldes außerhalb von Kamenz im Osten Deutschlands. Papas Firma beschäftigt viele gute Maurer. Die Mauern des Sandkastens sind auf drei Seiten mit Mustern von Enten und Blumen verziert, die vierte Seite geht in eine breite gemauerte Terrasse über, an deren Ende ein gemauerter Grill steht. Beete mit Rosen, Nelken und Begonien säumen zwei Seiten des Sandkastens, vorne erstreckt sich der sattgrüne Rasen.
    Trotz seiner Besessenheit, mit der unser Vater die Terrasse und den Rasen pflegt, schwebt über dem Sandkasten ein Gestank, der mir die Lust zum Spielen nimmt. Ich sage Helmut, er soll sich ebenfalls von dem Sandkasten fernhalten, doch er rennt gedankenlos hinein. Bald versinkt er bis zum Hals wie in Treibsand.
    »Hilfe, Amina! Hilf mir!«, ruft er.
    Ich strecke die Hand nach ihm aus, doch als ich über den Rand in den Sandkasten blicke, merke ich, dass er keinen Sand enthält. Stattdessen greifen Tausende schwarze Arme von vermoderten Kadavern wie sich windende Schlangen nach Helmut, ziehen ihn hinab in das riesige Grab, das bis tief in die Erde reicht, als stünde der Sandkasten über dem Tor zur Hölle. Ich rufe Papa zu Hilfe, während ich, so fest ich kann, an Helmuts Hand ziehe, doch gegen die Kraft dieser zahllosen Arme komme ich nicht an.
    Dann war der Alptraum zu Ende. Als ich erwachte, befand ich mich nicht mehr auf dem Segelboot meines Großvaters oder dem Schiff in der Karibik, sondern lag im Gras vor Nanas Haus in Delaware und blickte zu ihr und Tim Shelly hinauf, die neben mir knieten.
    »Brek, alles in Ordnung?«, fragte Nana.
    Ich versuchte zu verstehen, was passiert war. »Ich glaube schon«, antwortete ich.
    Lächelnd streichelte Nana meine Schulter. »Du erinnerst dich an deinen Namen, das ist ein gutes Zeichen.«
    Ich setzte mich auf und blickte mich um. »Ich hatte gerade einen ganz furchtbaren Traum«, erklärte ich.
    »Hier bist du jetzt sicher, mein Kind«, beruhigte mich Nana und wandte sich zu Tim. »Danke, dass du sie hergebracht hast. Ich kümmere mich um sie.«
    Tim erhob sich, um zu gehen. »Kein Problem«, sagte er und blickte mich mit kalten Augen von oben herab an.
    Schon als wir uns zuerst begegnet waren, hatte ich ein ungutes Gefühl, hatte Herzlosigkeit und Kälte gespürt. Ich wusste, ich kannte ihn von irgendwoher, doch ich konnte mich nicht erinnern. »Danke, Tim«, verabschiedete ich mich.
    Er ging zwischen den Bäumen hindurch zum Bahnhof.
    Nana spürte meine Sorge. »Beunruhigt er dich?«, fragte sie.
    Ich setzte mich auf und strich das Gras von meinem Rock. »Ja. Ich habe das Gefühl, ich kenne ihn, kann mich aber nicht erinnern woher. Er gibt allerdings vor, jemand anderer zu sein.«
    »Es wird dir wieder einfallen, wenn du bereit bist«, erwiderte Nana und half mir aufzustehen. »Es gibt einen Grund, warum man in Schemaja einen bestimmten Antragsteller oder Präsentator trifft. Du musst herausfinden, warum du Toby Bowles, Amina Rabun und Tim Shelly hier begegnet bist. Je eher du das tust, desto schneller wirst du dich anpassen. Und desto schneller erhältst du die Gelegenheit zu gehen.«

16
    Amina Rabuns Bruder Helmut starb im Alter von sieben Jahren und drei Monaten, aber nicht in einem Sandkasten. Eine Fünfzentnerbombe knallte durchs Dach der Turnhalle seiner Schule und tötete alle, die sich dort aufhielten. Den alten Männern, die keine Kinder in der Schule hatten und daher die Szene fasziniert, aber objektiv betrachten konnten, fiel auf, wie das Geröll kreisförmig von der Einschlagstelle nach außen geschleudert worden war. Das allerdings interessierte die hysterischen Mütter und Väter oder die Gemeinderäte und die Stadtbevölkerung nicht. Wir alle hatten die über uns kreisenden Bomber und das Knallen der Flugabwehrwaffen gehört. Helmut war am liebsten übers Seitpferd und auf dem Trampolin

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