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Was danach geschah

Was danach geschah

Titel: Was danach geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kimmel
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endlich, ob du sie sehen möchtest.«
    »Ja, ja, unbedingt.«
    »Dann öffne deinen Geist für mich, Brek Abigail Cuttler. Öffne deinen Geist, und du wirst sie sehen.«
    Die Augen des alten Mannes weiteten sich, bis sie sein gesamtes Gesicht und schließlich auch mich einnahmen. Ich spürte eine plötzliche Bewegung in der Dunkelheit seiner Augen, als würde ich durch den Weltraum geschleudert werden. Zwei kleine Lichtpunkte tauchten in der Ferne auf, näherten sich aus entgegengesetzten Richtungen und strahlten einen warmen, weichen Glanz aus wie Flammen zweier Kerzen, die von gegenüberliegenden Seiten eines Zimmers auf mich zugetragen und größer wurden. Plötzlich erschienen Sarah und Bo, und zu ihren Füßen bellte Macy, unser Hund! Die drei waren umgeben von einem strahlend blauen Himmel, von Pappeln und Eschen, einer Schaukel, einer Rutsche, einem Jogging-Kinderwagen. Der Spielplatz in der Nähe unseres Hauses! Ich traute meinen Augen nicht.
    Sarah krabbelte auf mich zu. Ich hob sie hoch, drückte sie an mich, schob meine Nase in ihr Haar, sog ihren süßen Duft in mich hinein. Sie klammerte sich an meinen Hals und drückte ihr Gesicht an meines. Meine Tränen liefen an ihrer Wange hinab. Dann legten sich Bos starke Arme um uns. Sein Samstagsbart kratzte über meine Wange, und ich roch den frischen Schweiß auf seinem Rücken von seinem langen Lauf durch die Stadt und über den Campus zum Spielplatz. Er trug seine ausgebleichte blaue Laufhose und ein T-Shirt mit einer großen roten »10« auf dem Rücken. Macy winselte und sprang hoch, weil sie meine Aufmerksamkeit haben wollte.
    »Ich vermisse dich so sehr«, flüsterte Bo. »Manchmal denke ich, ich schaffe es nicht.«
    »Ich weiß«, flüsterte ich. »Mir geht es genauso.«
    Ich wandte ihm mein Gesicht zu. Wir küssten uns, blickten uns in die Augen und küssten uns wieder, länger, leidenschaftlicher. Sarah wand sich, weil sie zur Schaukel zurückwollte. Bo und ich lächelten uns enttäuscht, aber glücklich an. Er schnallte sie auf der Kinderschaukel an, und wir stellten uns vor und hinter sie, um sie anzustoßen. Ihr Gesicht streifte beinahe unseres, wenn sie quiekend vor Freude an uns vorbeiflog. Bo hatte ihr den Jeansstrampler und die Turnschuhe angezogen, die mir am besten gefielen, und ihr Haar oben zu einer entzückenden Fontäne zusammengebunden.
    Während Sarah durch die Luft flog, erkannte ich meine eigenen Züge in ihrem Gesicht – meine Grübchen auf Kinn und Wangen, meine kleine Nase und die runden Augen – und dahinter eine ungebrochene Ahnenlinie der Familien Bellini, Cuttler, Wolfson, Schrieberg und anderer längst vergessener Namen, die in die Zeit und die Geschichte zurückgehen und dort warten, bis sie in der nächsten Generation wieder erscheinen. Dieses kleine Mädchen bewahrte ihre Erinnerungen und erhielt die Hoffnungen und Träume all dieser Familien am Leben. Ebenso wie meine.
    Bo und ich unterhielten uns über Sarahs Lachen und das Quietschen der Schaukel hinweg. Er hatte gerade erst wieder angefangen zu arbeiten. Mein Tod hatte ihm sehr zu schaffen gemacht. Er und Sarah waren zuerst bei seinem Bruder und seiner Schwägerin untergekommen. Dann hatte ihn seine Mutter ein paar Wochen besucht, um ihm zu helfen, bis er sich daran gewöhnt hatte, sich allein um Sarah zu kümmern. Er hatte das Haus zum Verkauf angeboten, weil die Erinnerungen zu schmerzlich waren, und er suchte eine Stelle in einem der New Yorker Fernsehsender, um näher bei seiner Familie zu sein. Sie kämen gut zurecht, wie er behauptete. Die Arbeit lenkte ihn ab, und Sarah wachte nur noch zweimal in der Nacht auf, weil sie nach ihrer Mutter verlangte. Er hatte das Dach und den Küchenabfallzerkleinerer repariert. Bill Gwynne hatte aus der Kanzlei angerufen und Hilfe bei der Regelung meines Nachlasses angeboten, was nett von ihm war. Meine Eltern riefen ein- oder zweimal die Woche an, doch die Gespräche dauerten nicht lange und waren oft von unangenehmen Pausen gefüllt. Karen kam vorbei, um zu reden, und hatte einige Bücher über Trauerarbeit dagelassen, die manchmal halfen.
    Ich versuchte, meine Gedanken zu sammeln. Es gab so viel zu sagen, nicht darüber, was seit meinem Tod passiert war, sondern darüber, was ich mir für ihre Zukunft wünschte. Bo sah so stark und gut aus in seiner kurzen Hose und dem T-Shirt, so entschlossen und unverwüstlich, wenn auch verletzt und verletzbar. Ich verliebte mich aufs Neue in ihn, stärker als zuvor. Dies wollte ich ihm

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