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Was danach geschah

Was danach geschah

Titel: Was danach geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kimmel
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Familie. Ich weinte um sie mehr, als ich nach dem Verlust meines Arms je um mich geweint hatte. Ich durchlebte jeden grässlichen Augenblick mit ihr. Ich glaubte, im Schmerz der Seele von Amina Rabun sterben zu müssen, falls das Sterben im Tod möglich wäre.
    Ich verbrachte lange Zeit allein auf der Veranda von Nanas Haus. Ich trauerte, erholte mich, versuchte, einen Sinn in dem zu erkennen, was Amina Rabun während ihres und was ich während meines eigenen Lebens durchgemacht hatte. Ich suchte nach einem Sinn in dem ewigen Kampf der Jahreszeiten von Schemaja um einen Platz in dem überfüllten Himmel, als würden Vierlinge im Bauch einer Frau miteinander raufen. Die Tage eines ganzen Jahres kondensierten zu einem einzigen verwirrenden Moment, in dem die Natur gegen die Zeit rebellierte. Die Apfelbäume, auf die ich als Kind geklettert war, streckten ihre Äste in alle vier Jahreszeiten gleichzeitig aus. Wie auf einem unvollständigen Gemälde blühten einige Äste im Frühling, andere waren mit satten Blättern und Äpfeln oder welk werdendem Laub behangen oder kahl wie im Winter. Ein ständiger Wechsel und dennoch dasselbe. Endlos wie die Generationen der Menschheit. Trauern Bäume um den Verlust ihrer Frühlingsknospen, oder freuen sie sich darauf, dass bald wieder welche sprießen?
    Eines Tages setzte sich Nana zu mir auf die Veranda. »Du hast mir gesagt, ich soll herausfinden, warum ich Amina Rabun, Toby Bowles und Tim Shelly begegnet bin«, sagte ich.
    »Stimmt«, antwortete sie. »Und, hast du?«
    »Katharina Schrieberg, Aminas beste Freundin, wurde Bos Mutter, meine Schwiegermutter«, antwortete ich.
    »Ja.«
    »Amina rettete Katharina vor den Nazis. Ohne Amina hätte es Bo nie gegeben. Ich hätte ihn nie kennengelernt, und Sarah wäre nie geboren worden.«
    Nana nickte.
    »Toby Bowles rettete Katharina vor den Russen. Ohne ihn hätte es Bo nie gegeben. Ich hätte ihn nie kennengelernt, und Sarah wäre nie geboren worden.«
    Wieder nickte Nana.
    »Aber ich habe Katharina überzeugt, Amina und Barbara zu verklagen, um ihr Erbe zu retten.«
    »Stimmt, das hast du getan«, bestätigte Nana.
    »Ich hatte keine Ahnung, dass Amina und Barbara von den Soldaten vergewaltigt worden waren oder dass die Soldaten ihre Familie umgebracht hatten.«
    »Stimmt, davon hattest du keine Ahnung«, bestätigte Nana auch diesmal.
    »Und Amina wusste nicht, dass es Katharinas Vater war, der aus dem Wald auf die Soldaten geschossen und sein Leben verloren hatte, um sie und ihre Familie zu retten.«
    Wieder nickte Nana. »Die Menschen auf Erden verurteilen einander oft, ohne alle Tatsachen zu kennen«, bemerkte sie.
    Ich dachte einen Moment darüber nach. »Aber das passiert hier in Schemaja auch«, fiel mir auf. »Wir können auf der Erde die Gedanken der Menschen nicht lesen, aber hier steht uns alles zur Verfügung, und trotzdem wird nur mit der Hälfte der Tatsachen über Fälle geurteilt. Nichts hat sich geändert. Das verstehe ich nicht. Welche Entschuldigung hat Gott dafür?«
    Nana tätschelte meinen Arm. »Nur der höchste Richter kann diese Frage beantworten. Vielleicht werden die Tatsachen, wer was wann getan hat, unwichtig, wenn über die Seele eines Menschen gerichtet wird.«
    Schweigend saßen wir einen Moment nebeneinander und beobachteten die sich miteinander verschmelzenden Jahreszeiten.
    »Bo wurde nach Toby Bowles benannt«, fuhr ich fort. »Katharina verlor den Zettel mit seinem Namen darauf, doch sie erinnerte sich an den Klang seines Nachnamens – Bowles, Boaz. Beinahe hätte sie den richtigen Namen verwendet.«
    »Stimmt. Beinahe«, bestätigte Nana.
    »Aber ich weiß immer noch nicht, warum mir Tim Shelly begegnet ist. Ich weiß nicht, wie er in diese Geschichte passt, und ich erinnere mich nicht, woher ich ihn kenne.«
    »Das wirst du, wenn du bereit bist, mein Kind«, sagte Nana. »Das wirst du, wenn du bereit bist.«
    Ein paar Tage später kam Tim Shelly zu Besuch. Ich ging gerade hinter Nanas Haus am Brandywine River spazieren und hatte in den jeweiligen Wintergebieten eine Reihe Schneemänner am Ufer gebaut. Würdevoll und resolut bewachten sie den Fluss und mich und leisteten mir Gesellschaft. Plötzlich sprang Tim hinter einem von ihnen hervor und jagte mir eine Heidenangst ein. Ich ging immer allein spazieren.
    »Keine Sorge, ich tue dir nichts«, höhnte er, als hätte er genau das vorgehabt. In dem Moment erinnerte er mich an Prügel-Wally, der die Krebse getötet und dem ich einen Kinnhaken

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