Was dein Herz nicht weiß
damit verbringen, Mutter zu sein, nicht Hotelmanagerin.
»Ist der Preis des Zimmers höher als meine Ehre?«, fragte Min. »Ist die Summe es wert, dass ich das Gesicht verliere?«
»Du hättest ihnen von Anfang an nichts versprechen sollen«, erwiderte Soo-Ja.
»Ich kenne keine andere Frau, die ihren Mann so behandelt«, klagte Min.
»Glücklich ist die Frau, die mit ihrem Mann nie über Geld streiten muss.«
»Ich will doch auch, dass wir gut miteinander auskommen.«
»Ach ja? Das sagst du so. Aber deine Taten sprechen eine andere Sprache. Selbst jetzt noch vermittelst du diesen Mädchen: Ich hab’s ja versucht, aber sie lässt mich nicht. Es ist nicht meine Schuld, sondern ihre. Mein Leben lang habe ich darauf gewartet, dass du endlich Verantwortung übernimmst. Es ist so anstrengend, ständig alles tun zu müssen, damit du dich nicht schlecht fühlst.«
Was dann geschah, ging so schnell, dass Soo-Ja es erst hinterher registrierte. Erst viel später begriff sie, dass die Flasche dieselbe gewesen war, die Herr Shim nur wenige Stunden zuvor auf dem Tresen abgestellt hatte. Soo-Ja hatte in dem ganzen Trubel vergessen, sie wegzuräumen. Im Rückblick sah sie Min wie in Zeitlupe nach der Flasche greifen und sie gegen die Wand werfen, woraufhin das Glas zersplitterte und die Scherben zu Boden klirrten. Die Mädchen kreischten und schreckten zurück, manche hielten schockiert die Hand über den Mund. Sie hatten noch vor Soo-Ja begriffen, was Min vorhatte – denn sie konnten ihn wie einen Fremden betrachten, während Soo-Ja im Laufe ihrer langen Ehe das Einfühlungsvermögen in ihren Mann verloren hatte. Diese Schulmädchen wussten alles über ihn, indem sie ihn nur anschauten; sie selbst dagegen verlernte mehr und mehr Details über ihn, sodass er ihr mit jedem Jahr fremder wurde. Erst viel später sah Soo-Ja auch die klare Flüssigkeit, die aus der Flasche an die Wand gespritzt war. Dabei musste sie an das Zimmermädchen Fräulein Hong denken. Soo-Ja war sich ganz sicher, dass sie und Min an den Nachmittagen miteinander schliefen, und sie stellte sich vor, wie er in ihr zum Höhepunkt kam. Mit Verzögerung hörte sie auch Mins Schrei, einen seltsamen, gepeinigten, kehligen Laut, aber sie wusste nicht mehr, ob er vor dem Zerplatzen der Flasche oder danach ertönt war. Sie fragte sich, wie viel Schmerz man fühlen musste, um einen solchen Schrei auszustoßen. Doch in dem Moment, als die Szene sich zutrug, bekam Soo-Ja überhaupt nichts von alldem mit. Sie spürte lediglich einen Stich im Herzen und dachte: Wo ist Hana? Ich will nicht, dass sie das sieht.
Min schickte sich an, zu gehen; Soo-Ja fragte sich, ob er zurück in die Sul-jib wollte, zurück in die Arme eines Barmädchens. Vielleicht ging er aber auch zum verabredeten Treffpunkt mit Fräulein Hong, damit die ihn trösten konnte.
»Na schön«, sagte Soo-Ja und kämpfte gegen die Tränen. »Nur noch eins … Mach, was du willst, mit wem du willst. Aber hol dir keine Krankheiten, die du mir dann weitergibst.«
Min stand ganz still, und Soo-Ja fürchtete kurz, er würde sich umdrehen und sie schlagen. Doch dann packte er die Eingangstür mit einem solchen Zorn, dass sie glaubte, er würde sie aus den Angeln reißen. Er trat hinaus auf die Straße und ließ die Tür krachend hinter sich zufallen.
Soo-Ja verharrte einen Moment lang und sammelte sich. Dann ging sie in das Zimmer, in das sie die Sachen der Mädchen eingeschlossen hatte, holte das schwere Gepäck heraus und stellte es ihnen vor die Nase. Sie tat es still, ohne ein Wort. Als sie vor ihnen stehen blieb, hatte Nami bereits einige Hundert-Won-Scheine aus der Geldbörse gezogen und auf den Tresen gelegt; genau die Summe, die sie Soo-Ja schuldeten. Dann verstaute Nami den Rest des Geldes wieder in ihrer Tasche, während die anderen Mädchen die Koffer nahmen. Zusammen verließen sie das Hotel. Soo-Ja wartete noch eine Weile hinter dem Tresen, bis es Zeit war, die Türen abzuschließen.
14
»Sind diese Bilder nicht schön? Fast wie Kunst«, sagte Gi-yong und deutete auf die Plakate an den Wänden. Er und Soo-Ja saßen in seinem Büro in Myong-dong, ein paar Kilometer von ihrem Hotel entfernt. Hinter seinem Schreibtisch hatte Gi-yong zwei große Darstellungen des Gebietes südlich des Hangang-Flusses aufgehängt: Eine davon war mit »Heute« beschriftet und bestand aus Fotos des Landes, wie es gegenwärtig aussah – leere, karge Felder und ausgedörrtes Gras. Die andere hatte er »Die Zukunft«
Weitere Kostenlose Bücher