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Was dein Herz nicht weiß

Was dein Herz nicht weiß

Titel: Was dein Herz nicht weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Park
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alle glaubten, das Konzert wäre zu Ende, setzten die Trommeln wieder ein, nun noch kräftiger als zuvor, und die Zuhörer wussten nicht, ob die Musiker einfach lauter spielten oder ob es nur so schien, weil sie selbst sich eine Fortsetzung so sehr gewünscht hatten.
    Soo-Ja hatte spontan die Hände hochgerissen, um mit den anderen zu klatschen, aber dann ließ sie sie wieder sinken und suchte sehnsüchtig nach Yuls Hand. Da war sie, und als er den Finger wieder gegen ihre Handfläche drückte, legte sie ihre Finger auf seinen, bedeckte ihn mit ihrer Wärme. So standen sie da, nur ihre Finger bewegten sich und erforschten die Hand des anderen – tastend, streichelnd, einander spürend – , bewegten sich wie nackte Körper, Haut an Haut.
    In diesem Moment kam Min zurück, und Yul zog seine Hand weg.
    »Das ist ein ganz moderner Herd«, erklärte Eun-Mee und schaltete ihn ein. »Er reguliert das Gas, sodass nicht alles auf einmal in die Luft geblasen wird. Mit dem normalen Yentan-Gas kriegt man ja die Hälfte direkt in die Lunge.«
    Soo-Ja staunte, während Eun-Mee ihr die geräumige Küche zeigte. Als sie noch ein Kind gewesen war, hatte die Küche Soo-Ja immer an ein Verlies erinnert. Sie lag tiefer als der Rest des Hauses, war infernalisch heiß, dunkel, grau und voller Tongefäße. Und selbst im Hotel bestand die Küche eigentlich nur aus einem Waschbecken und einem kleinen Gasherd. Eun-Mees Küche dagegen sah aus wie in einem Hochglanzmagazin. Die Arbeitsfläche wollte gar kein Ende nehmen, und zwischen den ganzen Regalen und Schränken, die sich aneinanderreihten, standen ein Kühlschrank und eine Waschmaschine.
    Eun-Mee stellte gerade den Teekessel auf den Herd und packte die Petits Fours aus, als das Telefon klingelte. Es war eine Freundin aus Pusan. Als die beiden Frauen begannen, angeregt miteinander zu plaudern, entschuldigte Soo-Ja sich und verließ die Küche. Yul und Min waren unten im Garten, darum konnte Soo-Ja ganz ungestört herumlaufen. Das Haus war riesig, erst recht, wenn man sich die normalen Verhältnisse in Seoul bewusst machte. Soo-Ja spazierte durch ein Zimmer nach dem anderen: Esszimmer, Wohnzimmer, Kaminzimmer und einen Raum mit einem großen Fenster, von dem aus man auf ein paar Bäume blickte. Während sie das Haus besichtigte, in dem Yul und Eun-Mee ihr gemeinsames Leben verbringen würden, begriff Soo-Ja das ganze Ausmaß ihres Fehlers. Sie dachte wieder an den Tag direkt vor ihrer Hochzeit zurück – an diesen wolkenlosen Tag – , als Yul vor ihr gestanden und ihr einen Heiratsantrag gemacht hatte. Wenn sie damals Ja gesagt hätte, wären sie jetzt verheiratet, und Soo-Ja würde mit ihm in diesem Haus leben. Als Yul ihr diese einfache Ja-oder-Nein-Frage gestellt hatte, war ihr nicht bewusst gewesen, wozu sie Nein gesagt hatte. Die Konsequenzen ihrer Entscheidung waren ihr nicht klar gewesen – sie hatte einfach nicht geahnt, dass sich das Leben nicht in vorherbestimmten Bahnen abspielte. Damals hatte sie geglaubt, ihr tatsächliches Leben unterscheide sich nicht so sehr von dem, was sie hätte führen können. Ich bin der gleiche Mensch, da muss sich meine Geschichte doch immer ungefähr gleich abspielen? Eine einzelne Entscheidung konnte doch nicht so ins Gewicht fallen. Ansonsten wäre sie von den unendlichen Möglichkeiten, wer oder was sie hätte werden können, ja glatt überrollt worden. Da war zum Beispiel die Soo-Ja, die auf die Diplomatenschule gegangen war und für die Regierung arbeitete; dann die, die Lehrerin geworden war und einen ganz anderen Mann, weder Yul noch Min, geheiratet hatte; und schließlich die, die als glückliche alte Jungfer bei ihrem Vater geblieben war. Wenn diese Frauen sich träfen, würden sie dann nicht mit einem lauten Knall zusammenstoßen? Wie konnten all diese Versionen eines einzelnen Menschen existieren, drei oder vielleicht gar vier? Wie konnten so viele verschiedene Lebensgeschichten auf diese Erde passen? Die Welt war ja nicht so groß, sie konnte einfach nicht so viel aufnehmen. Wir bekommen alle nur ein Leben, und das leben wir , davon war sie überzeugt gewesen. Wie schmerzhaft, jetzt feststellen zu müssen, dass das gar nicht stimmte, dass man tatsächlich verschiedene Leben bekam, je nachdem, wie mutig und offen man war. An jenem Tag – sie war zweiundzwanzig gewesen – war die Liebe zu ihr gekommen, und Soo-Ja hatte sie wieder weggeschickt.
    Warum müssen wir die wichtigsten Entscheidungen im Leben treffen, wenn wir noch so jung

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