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Was dein Herz nicht weiß

Was dein Herz nicht weiß

Titel: Was dein Herz nicht weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Park
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am Platz. Die letzten paar Minuten waren surreal gewesen, wie eine Geschichte, die man aus zweiter Hand auf einer Party erfährt. Es fühlte sich seltsam an, darin verwickelt zu sein, gar eine tragende Rolle zu spielen. Min würde sich den Rest des Tages ins Bett legen müssen und sich von den heutigen Ereignissen ernähren wie ein Kranker von Spezialkost – als wäre das Unrecht ihm geschehen.
    Nach einigen Sekunden erhob er sich, ohne Soo-Ja aufzuhelfen. Dann ging er in die Küche, öffnete einen Schrank und füllte eine Einkaufstasche, die er auf dem Boden gefunden hatte, mit einer Schachtel Boricha, einem Glas getrockneten Seetangs und einigen Anchovisdosen. Dazu packte er noch Pfefferminzbonbons, Schokolade und Tintenfischchips.
    Soo-Ja rappelte sich auf und kam zu ihm in die Küche, wo sie sich an die Wand stützen musste. »Was machst du da?«
    Er gab keine Antwort, füllte nur die Tasche weiter auf.
    »Sie werden merken, dass wir die Sachen genommen haben«, sagte Soo-Ja. »Wenn du sie haben willst, kannst du sie dir doch selbst kaufen. Oder wir fragen Yul um Erlaubnis. Aber wir können sie nicht einfach so mitnehmen.«
    Min hielt einen Moment inne und sah sie an, registrierte den verzweifelten Ausdruck auf ihrem Gesicht. Doch dann plünderte er weiter den Küchenschrank. Auf dem Nachhauseweg gab er ihr die Tasche zum Tragen.
    Stundenlang lag Min auf dem Boden und sagte kein Wort. Er starrte an die Decke und aß seine erbeuteten Köstlichkeiten, riss eine Schachtel nach der anderen auf und machte sich über den Inhalt her. Soo-Ja saß einige Meter von ihm entfernt. Keiner von beiden sprach über das, was passiert war.
    »Hör auf so viel zu essen. Du kriegst nur Bauchschmerzen«, mahnte Soo-Ja.
    Min schwieg. Er öffnete immer neue Schachteln; sein Magen war ein bodenloses Loch, sein Hunger unstillbar. Soo-Ja nahm ihm eine Dose Anchovis aus der Hand.
    »Hör auf damit. Geh lieber ins Bett«, sagte sie und schaltete das Licht aus.
    Keiner von beiden bewegte sich.
    »Ich habe ständig Angst, dass du mich verlässt«, sagte er ins Dunkel hinein, als hätte er darauf gewartet, unsichtbar zu werden. »Jeden Tag aufs Neue fürchte ich mich davor. Morgens wache ich auf und frage mich: Ist es heute so weit? Wird sie mich heute verlassen? «
    »Solange Hana hier ist, bin ich auch da«, sagte Soo-Ja. Seit das Licht ausgegangen war, hatte keiner von beiden sich gerührt. Min lag noch auf dem Boden, sie saß wie gehabt im Sessel.
    »Ich kann mich erst entspannen, wenn du alt bist und niemand dich mehr anschaut. Wenn niemand dich mehr haben will, brauche ich mir keine Sorgen mehr zu machen«, erklärte er.
    »Dieser Tag wird bald kommen«, gab Soo-Ja spitz zurück.
    »Von jetzt an will ich, dass du den Kopf gesenkt hältst, wenn du über die Straße gehst. Ich will nicht, dass die Männer dein Gesicht sehen. Und jetzt ist auch Schluss mit Röcken. Und nimm deinen Schmuck ab. Du bist kein junges Mädchen mehr. Du bist verheiratet.«
    »Weißt du eigentlich, wie du dich anhörst?«, fragte Soo-Ja, ohne die Eiseskälte in ihrer Stimme zu verbergen.
    »Sie hatten recht, meine Eltern hatten recht. Sie und ich, wir sind immer einer Meinung. Ich hätte nie erlauben sollen, dass du uns trennst.«
    Min putzte sich die Nase, und Soo-Ja fragte sich, ob er wohl weinte. Im Dunkeln konnte sie es nicht genau erkennen.
    »Glaubst du wirklich, du hast es schwer? Meinst du, Yul hat es schwer? Versetz dich mal in meine Lage oder in Eun-Mees. Wenn du wählen könntest, wärst du lieber du selbst oder Eun-Mee?«, fragte er.
    Soo-Ja stellte sich vor, wie es wohl wäre, Min zu sein. Wenn gemeinsame Freunde sie begrüßten, wandten sie sich immer zuerst an sie. Wenn die Gäste im Hotel an ihm vorbeigingen, nickten sie nicht. In der Kirche setzte niemand sich neben ihn. Seine Unscheinbarkeit war nicht ihre Schuld, aber mit den Jahren, in denen er hinter der starken Soo-Ja förmlich verschwunden war, hatte diese Eigenschaft sich noch verschlimmert. Soo-Ja fragte sich, ob Min besser dran gewesen wäre mit einer stillen, scheuen Frau, die ihm die große Bühne überließ. Vielleicht brauchte er ja eine stämmige, rundliche Frau, die ihm aus lauter Dankbarkeit den ganzen Tag über seine Lieblingsgerichte kochte. Früher hatte er es sicher einmal genossen, Soo-Ja eingefangen zu haben, aber im Lauf der Zeit musste ihm wohl klar geworden sein, dass er genau wie sie ein Gefangener war. Wenn man einen preisgekrönten Fisch gefangen hat, bewundern alle den

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