Was dein Herz nicht weiß
einen eigenen suchte.
»Ich will nicht, dass du mit deinem Vater redest«, sagte Min. »Zuerst wollte ich das – ich habe den ganzen Abend auf dich gewartet, um zu fragen, ob du es getan hast. Aber jetzt will ich es nicht mehr. Ich kann dich nicht in diese Lage bringen. Ich kann dich nicht auf diese Weise benutzen.«
Soo-Ja nickte und fühlte, wie eine Welle der Zärtlichkeit sie umspülte. »Wenn du es einem Richter erklären würdest, wer weiß, vielleicht … «
»Ich kann die Entscheidung meines Vaters nicht infrage stellen. Ich weiß nicht, wie ich dir das erklären soll … Es wäre ungehorsam.« Er sah ihr in die Augen, um zu prüfen, ob sie ihn verstand. Sie nickte. »Er darf nicht wissen, dass ich weiß, was er macht. Weil er dann sein Gesicht verlieren würde. Ich würde ihn schlecht aussehen lassen, und das wäre schlimmer als ins Gefängnis zu gehen. Das kann ich ihm nicht antun.«
Soo-Ja fragte sich, ob Min sich im Geheimen wünschte, dass sie doch mit ihrem Vater spräche, aber aus eigenem Entschluss und nicht auf seine Aufforderung hin. Sie suchte in seinem Gesicht nach Zeichen dafür, fand aber keine, sehr zu ihrer Erleichterung. Sie konnte ihren Vater nicht darum bitten. Der Schwiegervater hatte nämlich gelogen; das Darlehen, das er verlangte, war alles andere als gering. Erst, als Min ihr die Einzelheiten des Bankrotts erklärte, erkannte sie, was der Schwiegervater wirklich wollte: Soo-Jas Vater sollte die gesamte Schuldenlast übernehmen. Die Höhe der Summe brachte sie vollkommen aus der Fassung.
Als sie sich in dieser Nacht auf ihre Matten legten (obwohl der Schlaf erst viel später kam), empfand Soo-Ja zum ersten Mal, dass sie wirklich Ehemann und Ehefrau waren. Sie standen auf derselben Seite, teilten eine Entscheidung, sie waren eine Einheit. Zusammen hatten sie entschieden, nicht mit Soo-Jas Vater zu reden – nicht als Kompromiss, sondern als Übereinkunft – , und die Konsequenz daraus lastete auf ihnen beiden. In diesem Augenblick hatte Min seine Freiheit verloren, aber ihre Dankbarkeit und vielleicht sogar ihre Liebe gewonnen. Sie konnte sehen, dass er mit diesem Geschäft gut leben konnte. Außerdem war er ja noch nicht im Gefängnis, es war noch nicht alles verloren. Sie hatten in ihrem Leben genügend Filme gesehen, um zu wissen, dass eine Rettung nicht unmöglich war. Die Geschichte würde sich gerade lang genug hinziehen, dass der Held und die Heldin sich näherkommen konnten.
»Also, wo warst du heute Abend? Was ist passiert?« In Mins Stimme lag keine Schuldzuweisung.
Soo-Ja blickte fest geradeaus auf die Zimmerdecke. Wäre das Dach weggeblasen worden, hätte sie die Sterne sehen können. »Ich habe einer Freundin geholfen. Ich habe versucht, ihr aus einer schlechten Ehe herauszuhelfen.«
»Warum ist die Ehe denn schlecht?«
»Ihr Mann ist nicht freundlich zu ihr. Aber sie hat Angst, ihn zu verlassen, darum habe ich versucht, ihr zu helfen.«
»Denkst du, ihr Mann weiß, dass sie gehen will?«
»Ich glaube, Ehemänner wissen so was immer, nicht wahr? Sie wissen doch über alles Bescheid«, gab Soo-Ja zurück.
»Und Ehefrauen auch? Wissen Ehefrauen eigentlich, was ihre Ehemänner gerade denken?«
»Ja. Beide wissen Bescheid übereinander. Aber manchmal ziehen sie es vor, nichts zu sagen. Weil sie glauben, dass Dinge sich ändern können.«
»Und, haben sie recht?«, fragte Min. »Können Dinge sich wirklich ändern?«
»Vielleicht, wenn beide sich Mühe geben … «
Min schwieg einen Augenblick. Sie konnte hören, wie seine Brust sich hob und senkte. Als er schließlich zu sprechen begann, fielen seine Worte so friedlich zu Boden wie ein Tautropfen, der auf ein Blatt kullert. »Es tut mir leid«, erklärte er, und mehr brauchte er nicht zu sagen.
Zu ihrer Überraschung erkannte sie, dass sie ihm schon längst vergeben hatte.
7
Im Dezember desselben Jahres hatte Soo-Ja einen neuen Präsidenten, eine neue Verfassung und einen Ehemann, der als vermisst galt. Die Polizei war schon oft bei ihnen gewesen, und jedes Mal hatten sie den Beamten erzählt, Min sei nach Japan geflohen und sie hätten keinen Kontakt zu ihm. Die Polizisten glaubten ihnen natürlich nicht und durchsuchten immer wieder das Haus. Ihre Taschenlampen erhellten das Innere des Küchenofens und machten die Exkremente im Plumpsklo sichtbar. Behandschuhte Hände wühlten sich durch die Schränke, und Kleider flogen durch die Luft wie Heuschrecken. Hinter den Polizisten stand Soo-Ja mit verschränkten
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