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Was dein Herz nicht weiß

Was dein Herz nicht weiß

Titel: Was dein Herz nicht weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Park
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sich von Minute zu Minute. Sie sahen, wie die Menschen nach Hause in ihre warmen Wohnungen zum Abendessen hasteten. Soo-Ja kam es vor, als liefe sie allein durch die Nacht, als wäre sie der einzige Mensch, der noch wach war inmitten einer Stadt von schlafenden Seelen. Nie zuvor hatte sie sich mit einer solchen Entschlossenheit bewegt. Sie wusste, solange sie weiterlief und suchte, hatte Hana eine Chance. Nur wenn sie aufgab, wäre Hana dem Untergang geweiht. Soo-Ja stellte sich vor, die Schwiegermutter würde gleich aus dem Haus kommen und nach ihnen schauen, aber alles was sie finden würde, wären die Erinnerungen an ihre Körper – wie die Umrisse von Geistern.
    Als Soo-Ja und Na-yeong am Marktplatz ankamen, hatte Soo-Ja kein Déjà-vu, sondern das seltsame Gefühl, noch nie dort gewesen zu sein – als wäre die Stadt nur ein Modell im Schuhkarton und Minuten zuvor von ihrem ruhelosen Besitzer neu arrangiert worden. Die Straßen hier waren noch immer voller Leben, und an jeder Ecke standen Garküchen. Hinter ihren kleinen roten Plastikvorhängen wurden brutzelnde Kimchi-Pfannkuchen und Gemüsewürste mit Soju serviert. Die Standbesitzer waren in dicke Jacken und Mützen gepackt, sodass man sie kaum sehen konnte. Ihre Wangen glühten rot, weil sie ständig zwischen Hitze und Kälte wechselten, während sie an ihren dreiflammigen Öfen arbeiteten, nur wenige Zentimeter entfernt von ihren Kunden – müde aussehende Fischer, die richtig zulangten.
    Obwohl die Nacht begonnen hatte, waren die Straßen nicht dunkel. Einige der Geschäfte ließen die Lichter in den Schaufenstern auch nach Ladenschluss noch einige Stunden brennen, genau wie die kleinen Firmenschilder über den Türen, in denen bunte Farbstreifen rotierten.
    »Hier war es«, sagte Na-yeong und deutete auf einen kleinen Grasstreifen unter einem Ahornbaum, zwei oder drei Schritte von einem Tabakladen entfernt.
    »Bist du sicher?«, fragte Soo-Ja, die immer noch ihren Arm festhielt.
    Na-yeong sah aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen. Soo-Ja störte sich nicht daran. Sie kniff die Augen zusammen und schaute auf die Stelle, die Na-yeong ihr gezeigt hatte, gerade so, als könnte sie nicht nur die Leute sehen, die im Augenblick dort standen, sondern jeden, der im Laufe des Tages dort gewesen war, Hana eingeschlossen.
    Sie hatte das Gefühl, als müsste sie die richtige Antwort auf ein Rätsel finden, um zu ihrer Tochter zu gelangen. Ich weiß, dass du hier irgendwo bist. Du kannst nicht weit gegangen sein. Ich kann dich finden. Wenn ich am richtigen Ort suche, kann ich dich finden. Ich werde suchen wie eine Mutter. Mit reinem Herzen werde ich dich finden.
    Soo-Ja begann, den Namen ihrer Tochter zu rufen. »Hana!« Sie schaute sich um, sah all die kleinen Mädchen an, in der Hoffnung, eins von ihnen würde sich umdrehen und ihr einen dankbaren Blick des Wiedererkennens zuwerfen. Sie winkte den Erwachsenen zu, weil vielleicht einer von ihnen Hana gefunden hatte und nun auf ihre Mutter wartete. Es war ganz einfach, dachte Soo-Ja. Jeden Moment würde sie die Stimme ihrer Tochter hören, und alles wäre vorbei. »Hana!«
    Soo-Jas Rufe wurden immer panischer. Sie lief um den Marktplatz herum, und fragte jeden, den sie traf, ob sie ein verloren gegangenes Kind gesehen hätten. Die Leute an den Garküchen begannen, in ihre Richtung zu schauen und mit dem Finger auf sie zu zeigen. Bald merkte sie, dass nicht etwa Mitgefühl in ihren Augen lag, sondern Verärgerung und Verachtung. So bald sie sich ihnen näherte, schüttelten sie den Kopf und v erbargen die Nase in den dampfenden Suppenschüsseln. Einige Frauen hielten Soo-Ja für eine Bettlerin und zogen ihre Kinder an sich, um sie vor ihr zu beschützen. Sie fühlte sich, als hätte sie eine schreckliche Krankheit, an der man sich schnell anstecken konnte. Aber sie konnte nicht aufhören; sie musste jeden einzelnen Menschen auf dem Marktplatz fragen, ob er ihre Tochter gesehen hatte.
    Bald konnte sie die Panik, die in ihr aufstieg, als sie ein »Nein« nach dem anderen hörte, nicht mehr kontrollieren. Jedes Kopfschütteln entfernte sie weiter und weiter von Hana. Als sie auf ein paar Männer zuging, vermieden diese den Blickkontakt mit ihr und wichen ihr aus. Einige der Frauen jedoch hörten zu, besonders die älteren Großmütter mit freundlichen Augen. Manche von ihnen boten ihr ein Glas Wasser und warme Weizenklöße an, die sie aber nicht annahm.
    Na-yeong legte ihr die Hand auf den Arm. Sie wirkte

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