Was dein Herz nicht weiß
bloß zu sagen. Dann werde ich Du-Ho bitten. Er scheint mir mehr mütterliche Gefühle zu haben als du«, sagte Soo-Ja. Sie streckte die Hände nach Hana aus, als wäre ihre Tochter ein exotisches Kleinod von weit her und Na-yeong schlicht zu unkultiviert, um es zu schätzen.
Doch Na-yeong hielt Hana fest. »Es ist schon gut. Geh, Eonni. Ich werde auf sie aufpassen«, sagte sie zu Soo-Ja, wobei sie sie »ältere Schwester« nannte.
Soo-Ja küsste Hana auf die Stirn. Sie fühlte sich furchtbar schuldig. Es geschah selten, dass Soo-Ja ihre Tochter alleine ließ; Hana war immer an ihrer Seite oder auf ihren Rücken gebunden, wohin sie auch ging. Soo-Ja schaute auf ihre Tochter und wartete darauf, dass die zu ihr sagte, sie solle nicht gehen, sondern mit ihr spielen. Aber natürlich sagte Hana bloß: »Auf Wiedersehen, Eomma« und konzentrierte sich auf die Puppe, die sie in den Händen hielt. Soo-Ja zauderte. War sie drauf und dran, einen nutzlosen Gang zu machen? Aber sie hatte die Dinge schon ins Rollen gebracht. Sie wusste, wenn sie jetzt nicht ging – wenn auch nur, um zu schauen, wie Yul nun aussah, oder um sich eine Erinnerung zu holen, von der sie noch einmal vier Jahre lang zehren konnte –, dann würde sie es bedauern, und dieses Bedauern würde sie ihr Leben lang begleiten. Aber dann, als Soo-Ja ihren schweren Wintermantel anzog, lag in Na-yeongs Gesicht ein Ausdruck, der sie zögern ließ. Traurigkeit überfiel ihre Schwägerin wie ein heftiger Hagelschauer, und Na-yeong schien plötzlich so alt wie die Schwiegermutter selbst.
»Iseul hat mich nie um ein zweites Treffen gebeten.« Na-yeong sprach natürlich von ihrem Bewerber. Es war der Einzige, den sie je gehabt hatte. Soo-Ja war sich nicht sicher, ob es eine Frage gewesen war oder eine Feststellung, und nickte deshalb einfach. »Er hat an diesem Tag kaum mit mir gesprochen. Er war zu sehr damit beschäftigt, dich zu bewundern.«
»Du wirst noch mehr Männer treffen, die sich für dich interessieren, Na-yeong. Du bist ja noch sehr jung«, sagte Soo-Ja höflich.
»Das erste Mal ist das einzige, das zählt. Hattest du Angst, dass ich einen Besseren finden würde als du?«
»Ich kann mir keinen Besseren vorstellen als deinen Bruder«, sagte Soo-Ja und gab sich keine Mühe, ihren Spott zu verbergen.
»Ich war so wütend auf dich. Und du hast das nicht einmal gemerkt. Weißt du überhaupt, dass ich seitdem nicht mehr mit dir gesprochen habe?« Na-yeong sah eher traurig aus als verärgert, schrecklich traurig. Soo-Ja kam es so vor, als sähe sie ihre Schwägerin zum ersten Mal. Na-yeong war immer so ruhig gewesen, dass Soo-Ja fälschlich angenommen hatte, ihr Schweigen stehe für eine Art Nichts, während in ihrem Innern ein wahrer Sturm tobte.
»Es war nicht meine Absicht, dir diesen Tag zu verderben, Na-yeong.«
»Warum hast du mich ihm nicht angepriesen? Ich bin sicher, er war davon beeindruckt, dass du in unsere Familie eingeheiratet hast. Deine Worte hätten viel ausgemacht.«
»Ich weiß nicht, ob ich die Richtige bin, um andere Leute an deine Familie zu verkaufen.«
»Natürlich nicht. Du schaust nämlich auf uns herab. Ich habe den verächtlichen Blick in deinem Gesicht gesehen, als wir uns zum ersten Mal getroffen haben. Es tut mir leid, dass wir nicht dieselbe gute Erziehung genossen haben wie du«, stichelte Na-yeong.
»Vielleicht sollte ich hierbleiben«, sagte Soo-Ja. »Es ist mir sowieso zu kalt.«
»Nein. Geh nur«, drängte Na-yeong. Ihre Stimme hatte wieder einen normalen Tonfall angenommen, und sie schien wegen ihres Gefühlsausbruchs etwas verlegen. Sie rang sich ein Lächeln ab und strich Hana über das Haar. »Wir beide werden ein wenig spazieren gehen. Ich habe draußen ein paar Kinder spielen sehen. Vielleicht kann sie sich mit ihnen anfreunden. Es wäre gut für sie, Kinder in ihrem Alter zu treffen, anstatt immer nur mit Erwachsenen zusammen zu sein.«
Soo-Ja zögerte. Sie war kurz davor, wieder nach Hana zu greifen, beschloss dann aber, dass sie die Lage nur noch schlimmer machen würde, wenn sie jetzt ihre Meinung änderte. Hana war durch ihre Puppe abgelenkt und beachtete die Unterhaltung nicht weiter. Sie wirkte wie eine Gestalt in einem Gemälde, die man irgendwo am Rand in die Landschaft gesetzt hatte. Soo-Ja trat einen Schritt zurück und hatte das seltsame Empfinden, ausgeschlossen zu sein. Eine Sekunde lang hoffte sie, irgendetwas würde sie daran hindern, zu Yul zu fahren – ein Notfall oder wichtige Nachrichten
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