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Was dein Herz nicht weiß

Was dein Herz nicht weiß

Titel: Was dein Herz nicht weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Park
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aufgeschrammt waren. Das bisschen Hoffnung, das ihr noch geblieben war, verschwand. Soo-Ja hatte sich diese Tür als letzte Zuflucht aufgehoben, aber es war von Anfang an keine gewesen. Ohne ein Gramm Energie mehr im Körper klappte sie zusammen und fiel zu Boden. In dem Versuch, sich wieder aufzurichten, stemmte sie sich gegen das kalte Glas der Tür, aber ohne Erfolg. Sie riss den Mund weit auf, weil sie Mühe hatte zu atmen, saugte gierig die Luft ein, aber es half nichts. Bewusstlos schloss sie die Augen, und der Schnee begann, sie zu begraben.

8
    Als Soo-Ja die Augen wieder öffnete, sah sie, dass jemand sich über sie beugte: eine große, untersetzte Krankenschwester, die auf dem Kopf zu stehen schien. Die Frau griff nach ihr und hob sie mit der Kraft eines Rhinozeros auf die Beine. Sie legte sich Soo-Jas Arm über die Schulter und führte sie in die mollig warme Praxis. Soo-Ja konnte noch immer kaum atmen, aber sie wusste, dass sie an den Frostbeulen nicht sterben würde, und diese Gewissheit ließ ihre Lunge bald wieder auftauen. Freundlichkeit zu erleben – jemanden zu haben, der nach einem schaut und einem hilft – , ist wahrscheinlich das beste Placebo der Welt. Die Schwester setzte sie auf einen Stuhl, stellte ihr die Füße in einen Bottich mit heißem Wasser und rieb ihr die kalten Hände. Soo-Ja spürte, wie ihre Temperatur sich langsam wieder normalisierte. Warum, wusste sie nicht genau – war es das warme Wasser oder schlicht der Gesichtsausdruck der Frau, die ihr zulächelte, als wäre sie ihre verloren geglaubte Schwester?
    »Tut mir leid, dass ich Ihnen die Tür nicht früher aufgemacht habe! Ich bin wohl eingeschlafen und wusste nicht, ob das Klopfen echt war oder nur ein Traum«, erklärte die Krankenschwester. Soo-Ja lächelte sie an, um auszudrücken, dass sie ihr nichts nachtrug und einfach nur dankbar war, bei ihr zu sein. »Ich bin nachts ganz alleine hier, und meistens habe ich einen Patienten oder zwei, aber bei dem üblen Schneesturm haben anscheinend sogar medizinische Notfälle beschlossen zu warten.«
    Soo-Ja trank grünen Tee aus der Tasse, die die Schwester ihr hingestellt hatte. Inzwischen hatte sie wieder Gefühl in den Fingern, und der Schmerz in ihrer Brust begann sich zu verflüchtigen.
    »Es sieht aus, als würde unser neuer Präsident eine Menge Versprechungen machen«, bemerkte die Schwester, die sich auf einen Stuhl gesetzt und die Zeitung aufgeklappt hatte. »Er sagt, dass er Pläne für die Wiedervereinigung hat und uns eine autarke Wirtschaft bescheren wird. Und er will Pferdemist in Papiergeld verwandeln! Das gibt’s ja gar nicht. Ich selbst habe den anderen Typen gewählt. Ich glaube, Chung Hee Park ist bloß ein gieriger Machtmensch, wie alle anderen auch. Er ist ein Autokrat, ein zweiter Syngman Rhee, nur ohne die dumme österreichische Ehefrau. Würde mich nicht wundern, wenn herauskäme, dass er eine Marionette der Nordkoreaner ist. Haben Sie gehört, dass er zur Beerdigung des amerikanischen Präsidenten geflogen ist? Der Amerikaner mochte Park schon zu Lebzeiten nicht, und ich kann mir nicht vorstellen, dass er ihn aus dem Grab heraus plötzlich mag.«
    »Schwester … «
    »Ja?«, fragte die Schwester, ließ die Zeitung sinken und schaute zu Soo-Ja hinüber.
    »Ich muss weg sein, bevor der Doktor kommt«, sagte Soo-Ja, die noch immer zu große Schmerzen hatte, als dass sie sich aus ihrem Stuhl hätte erheben können.
    Doch die Schwester hatte sie missverstanden. »Dr. Yul-Bok Kim wird morgen früh hier sein, also in wenigen Stunden, und dann wird er Sie untersuchen. Er war auf Reisen, aber jetzt ist er zurück. Denken Sie, dass Sie noch so lange warten können?«
    »Nein, nein. Ich meinte, dass ich weg sein muss, bevor er kommt. Ich muss gehen. Ich muss weg. Selbst wenn es noch schneit. Bitte sagen Sie mir Bescheid, wenn er auf dem Weg hierher ist.«
    Die Schwester sah sie verwirrt an, und Soo-Ja merkte, dass sie bei ihr nach Anzeichen von Geistesschwäche suchte. Sie wusste, welche Frage die Schwester ihr am liebsten gestellt hätte: Warum um alles in der Welt laufen Sie um ein Uhr morgens durch die schneebedeckten Straßen? Aber stattdessen nickte die Schwester bloß und sagte: »Machen Sie sich keine Sorgen. Ich werde dafür sorgen, dass Sie fort sind, bevor er kommt.«
    »Soo-Ja … «
    Sie war sofort hellwach, fassungslos, Yuls Stimme zu hören. Er schaltete das Licht an, und die Zimmerdecke verwandelte sich in ein weißgepunktetes Labyrinth. Soo-Ja

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