Was dein Herz nicht weiß
klarzumachen, dass mit »Hyo-Joo« ihre Tochter gemeint war. Also hatten sie ihr schon einen neuen Namen gegeben! Was hatten sie ihr in diesen vierundzwanzig Stunden noch alles beigebracht? Vielleicht, dass sie sich von den Fenstern fernhalten und sich nicht nach ihrer Mutter sehnen sollte, da die niemals kommen würde …
»Also gut«, sagte Dae-Jung etwas zu schnell, froh über den ›Kompromiss‹ und dass seine Version der Ereignisse dadurch bestätigt wurde.
Wie erstaunlich, dass man sogar bei einer Kindesentführung einen Weg finden musste, damit der andere sein Gesicht wahren konnte.
»Ist dein Vater gut zu dir?«, fragte Yul.
Der Zehnjährige schaute ihn nachdenklich an und nickte. Sie waren auf dem Weg zurück zum Haus von Mins Onkel. Während sie sich zu viert durch die Nacht bewegten, empfand Soo-Ja eine Art Zusammengehörigkeitsgefühl – der Junge war, wenigstens im Moment, klar auf ihrer Seite.
»Ja, er behandelt mich gut. Aber nicht meinen Bruder«, antwortete Bae. In seinen ramponierten Kleidern sah er aus wie ein Straßenkind.
»Ist dein Bruder unartig?«, wollte Yul von ihm wissen.
Eines Tages würde er ein guter Vater sein, dachte Soo-Ja. Er hatte ein Händchen für Kinder.
»Nein. Er ist so wie ich«, erklärte Bae.
»Also ist er ein Vater, der auf einen Jungen mit dem Stock losgeht und den anderen verschont. Warum, glaubst du, schlägt er dich nicht?«, fragte Yul.
»Ich weiß es nicht, mein Herr.«
An diesem Punkt hatte Soo-Ja das Gefühl, dass Yul genügend Vorarbeit geleistet hatte. Jetzt konnte sie dem Jungen einige Fragen stellen.
»Warum hat dein Vater Hana mitgenommen? Was hat er euch darüber erzählt?«
Bae legte den Kopf zur Seite und überlegte eine Weile, bevor er schließlich redete. »Mein Vater ist kein schlechter Mensch. Aber manchmal macht er seltsame Dinge. Dinge, die wir nicht verstehen, aber in seinem Kopf hat alles einen Sinn.«
»Warum hat er Hana zu euch nach Hause gebracht?«, fragte Soo-Ja.
Das Mädchen lag in den Armen seiner Mutter und wollte nicht loslassen. Mit jeder Straßenkreuzung, die sie hinter sich ließen, wurde es schwerer, aber Soo-Ja spürte die Anstrengung kaum. Sie wusste, ihre Tochter wollte jetzt bei ihr sein, und darum ging sie auch nicht auf Yuls Angebot ein, Hana zu tragen.
»Schauen Sie, gnädige Frau, wir sind nur Jungen bei uns zu Hause. Ich und mein Bruder. Und mein Vater wollte immer ein Mädchen. Als er eins gefunden hatte, sagte er, dass Gott uns unseren Wunsch erfüllen wollte. Aber ich glaube, Vater hat sie mitgenommen, weil sie so schön angezogen war. Er hat immer wieder gesagt: Schaut, wie fein ihre Kleider sind, sie muss aus einer guten Familie stammen! Er war begeistert von ihr.«
Soo-Ja betrachtete Hana und fragte sich, wie viel sie von dieser ganzen Sache eigentlich mitbekam. Bae schaute Soo-Ja an, und sie wandte sich wieder dem Jungen zu. »Fahr fort, Bae.«
»Er befahl uns, sehr vorsichtig mit ihr umzugehen: Das ist ein Mädchen und kein Junge, ihr dürft nicht grob zu ihr sein. Und für den Fall, dass jemand fragen würde, befahl er uns zu sagen, sie wäre unsere Schwester, aber ihre Mutter wäre nicht unsere Mutter. Das habe ich nicht verstanden. Wenn meine Mutter nicht ihre Mutter ist, wie kann sie dann meine Schwester sein? Aber ich nehme an, dass es irgendwie doch funktioniert, denn Sie sind ja Hanas Mutter.«
»Hättest du denn gerne, dass sie deine Mutter wäre?«, neckte Yul.
So spricht man also mit Jungen, dachte Soo-Ja. Man macht Scherze über Mädchen, sogar, wenn das Mädchen schon erwachsen ist.
»Yul! Ich bitte dich«, ermahnte ihn Soo-Ja, obwohl sie es eigentlich nicht ernst meinte. Denn zum ersten Mal, seit sie ihn wiedergesehen hatte, lächelte Yul, und das machte sie glücklich.
Der Junge nickte sofort. »Ja! Ja, das hätte ich gerne. Sie sind sehr schön, Agassi. «
»Es muss heißen: Ajumma.Dafür bin ich nicht zu eitel. Ich bin vielleicht jung genug, um noch Agassi zu sein, aber ich bin Mutter, und Ajumma und Eomma klingen für mich gleich«, sagte Soo-Ja. »Aber erzähl doch weiter, Bae. Was ist dann passiert?«
»Wir haben uns alle um Hana versammelt. Ich weiß, dass man als Junge Mädchen dumm findet, aber sie war so niedlich. Wir konnten die Augen nicht von ihr lassen! Es war, als hätten wir ein Häschen im Haus. Und sie weinte. Oh, sie weinte so viel am Anfang. Und dann sagte mein Vater, wenn du weiter so weinst, wird deine Mutter wirklich böse und kommt nicht mehr zurück. Da
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