Was dein Herz nicht weiß
Korea bleiben wollte.
Ungefähr zu dieser Zeit war Min eines Tages an einem kleinen Lebensmittelladen in der Nähe ihrer Wohnung in Daegu vorbeigeschlendert, als eine alte Frau – eine entfernte Bekannte – ihn um Hilfe bat. Er sollte ihr einige Apfelkisten in ihren Laden tragen. Sie wies ihn nicht darauf hin, wie schwer die Kisten waren. Als Min die erste anhob, hörte er ein lautes Knacksen – das war sein Rücken. In diesem Augenblick hätte Min die Kiste auf den Boden fallen lassen sollen, aber aus Angst, sich vor der alten Frau zu blamieren – sie könnte ja denken, er wäre zu schwach – , trug er die Kiste den ganzen Weg in den Laden, einen quälenden Schritt nach dem anderen, und ruinierte sich auf diese Weise den Rücken vollends.
Min litt tagelang große Schmerzen, und sein Rücken war nie mehr richtig verheilt. Er sagte seinen Eltern, dass er in diesem Zustand nicht nach Amerika ziehen konnte, und so verließen sie das Land ohne ihn. Und auch als er sich wieder normal bewegen konnte, beschloss Min, dass der schlimme Rücken der offizielle Grund dafür war, warum er nicht arbeiten konnte. Diese Erklärung wurde zu einer tragenden Säule ihres Lebens – sie machte Hana begreiflich, warum ihr Vater im Gegensatz zu anderen Männern seines Alters keine Arbeit hatte, und sie zeigte auch den anderen, wieso Soo-Ja diejenige war, die den Lebensunterhalt verdiente.
»Entschuldigen Sie, dass ich Sie habe warten lassen!« Gi-yong wedelte lebhaft mit den Händen.
»Das macht doch nichts«, entgegnete Soo-Ja, nachdem ihr klar geworden war, dass ihr inzwischen schmollender Ehemann Gi-yong keine Antwort geben würde, auch wenn das Wort an ihn gerichtet war. »Mein Mann ist von dieser Gelegenheit zur Geldanlage sehr angetan. Es gibt Leute, die behaupten, unser Land würde nicht wachsen, aber ich bin anderer Meinung. Ich denke, wir stehen gerade erst am Anfang.«
Gi-yong nickte. »Es gibt da allerdings eine Sache, die ich erwähnen möchte, bevor wir weitermachen.« Sie bemerkte, dass Gi-yong sich in Wirklichkeit an sie richtete, obwohl er sie beide abwechselnd ansah.
»Was für eine Sache?«, fragte Soo-Ja.
»Seit unserem ersten Gespräch ist fast ein Jahr vergangen. Damals habe ich gesagt, ich würde den Pyeong für dreihundert Wonverkaufen . Weil aber die Nachfrage nach dem Land so gestiegen ist, sind die Preise hochgegangen. Wenn Sie nun nicht mehr kaufen wollen, verstehe ich das.« Gi-yong wirkte verlegen.
»Wie viel kostet es denn jetzt?«, fragte Soo-Ja.
»Fünfhundert Wonden Pyeong, und die Mindestfläche, die ich verkaufe, sind eintausend Pyeong . «
Fünfhunderttausend Won . Und sie hatte nur zweihunderttausend.
Soo-Ja nickte ruhig. »Ich habe damit gerechnet, dass der Preis gestiegen ist, wegen der Inflation und so weiter. Aber eine solche Steigerung habe ich nicht erwartet.«
Gi-yong sah ihr nun direkt in die Augen. Beide hatten die Scharade, dass Min der Verhandlungspartner war, aufgegeben.
»Sie gefallen mir, und mir wäre es recht, wenn Sie das Land kaufen könnten. Aber ich muss auch an mich denken und an die anderen Investoren. Ich kann für Sie keine Ausnahme machen.«
»Das brauchen Sie auch nicht. Ich habe im Moment nicht das ganze Geld, aber ich werde es zusammenkriegen. Wann muss ich meinen Anteil beibringen?«
Gi-yong seufzte. »Am Ende des Monats.«
Soo-Ja versuchte, ihr Zögern zu verbergen. »Ich werde das Geld bis zum Monatsende haben. Verkaufen Sie meinen Anteil an niemand anderen.«
»Ich kann ihn aber nicht lange reservieren.«
»Keine Sorge, ich werde das Geld auftreiben. Wenn wir uns wiedersehen, Herr Im, werde ich bezahlen, und dieses Land wird mir gehören.«
Soo-Ja konnte in seinen Augen sehen, dass er ihr nicht glaubte, aber das freundliche Lächeln auf seinen Lippen verriet ihr, dass er ihr die Gunst erweisen würde, noch etwas abzuwarten. Als sie aufbrachen, beschloss sie, seinen zweifelnden Blick in Erinnerung zu behalten. Sie wusste, dass sie diese Erinnerung als Ermutigung für die langen, harten Wochen, die sie vor sich hatte, brauchen würde.
Seit Soo-Ja und Min sieben Jahre zuvor nach Seoul gezogen waren, hatten sie miterlebt, wie die Stadt wuchs, ähnlich einer hartnäckigen Pflanze, die aus dem Boden spross und dabei die Erde auf ihrem Weg nach oben zermalmte. Auf leeren Grundstücken und in Slums entstanden Hunderte neuer Gebäude. Wenn Soo-Ja durch die Straßen der Innenstadt ging, sah sie Bulldozer und Lastwagen, die sich jeden Tag durch die harte
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