Was dein Herz nicht weiß
körperbetontes Kleid, das viel teurer wirkte als alles, was die anderen Frauen anhatten. Außerdem hielt sie einen Fächer in der Hand, der mit einer Pfingstrose – einer der drei Blumen des Ehrgeizes – geschmückt war. Sie wedelte mit dem Fächer und verdeckte dabei ihr halbes Gesicht, wohl um der Unterhaltung mit Frauen ihres eigenen Alters aus dem Weg zu gehen. Stattdessen suchte sie lieber das Gespräch mit den älteren Mitgliedern. Im Augenblick redete sie angeregt mit einer Großmutter.
Soo-Ja wandte sich an Hana und bat sie leise, um nicht die Aufmerksamkeit der zwei anderen Familien am Tisch zu erwecken, zu Eun-Mee hinüberzugehen und herauszufinden, worüber sie gerade redete. Hana räusperte sich – ein wenig zu theatralisch, wie Soo-Ja fand – , legte die Essstäbchen hin und fragte die Frau ihr gegenüber, wo sich die Toiletten befanden.
Soo-Ja beobachtete, wie ihre Tochter um Eun-Mees Tisch herumschlich, den Frauen, die dort saßen, den Rücken zugewandt. Hana positionierte sich so geschickt, dass sie direkt hinter Eun-Mee stand, ohne dass irgendjemand sie bemerkte. Dort verharrte sie ein paar Minuten, bis eine der Kellnerinnen sie wieder auf ihren Platz zurückschickte.
Soo-Ja sah Hana erwartungsvoll an. Die aber sagte nichts und schüttelte nur den Kopf, als sie sich wieder hinsetzte. Eun-Mee plaudere einfach nur, erklärte sie. Schweigend aßen sie weiter, und Soo-Ja kam sich ziemlich dumm vor, dass sie Hana zum Spionieren geschickt hatte. Aber nur ein paar Minuten später, als eine Kellnerin von Tisch zu Tisch ging und Mandarinenschnitze servierte, beobachtete Soo-Ja, wie Eun-Mee wieder aufstand und zu einem dritten Tisch ging, wo sie sich neben eine senil wirkende alte Frau setzte, um ihr beim Dessert Gesellschaft zu leisten. Soo-Ja wollte Hana gerade wieder dorthin schicken, als Hana zu ihrer Überraschung von selbst aufsprang und so tat, als müsste sie zur Toilette.
»Ich glaube, ich habe zu viel Tee getrunken. Dieser Boricha fließt ganz schön schnell durch, nicht wahr?«
Soo-Ja folgte ihr mit den Blicken, bis sie neben Eun-Mees neuem Tisch stand, nicht zu nah, damit man sie nicht bemerkte. Hana wusste nicht so recht, wie sie sich verhalten sollte, und stand verlegen herum. Doch da kam eine freundliche Ajumma auf sie zu und verwickelte sie in eine Unterhaltung. Nach einigen Minuten jedoch erstarb das Gespräch, und Hana hatte keine andere Wahl als zurückzukehren. Dieses Mal bemerkte Eun-Mee sie allerdings und schenkte ihr ein gezwungenes Lächeln, wobei sie die Nasenlöcher aggressiv aufblähte. Hana erwiderte den Blick mit einer für sie untypischen Furcht, so als müsste sie der Medusa in die Augen schauen. Sie rannte beinahe zurück zu ihrem eigenen Tisch, und Soo-Ja merkte, dass Eun-Mee sie mit missbilligend gespitzten Lippen beobachtete.
Als Hana sich niederließ, nutzte Soo-Ja es aus, dass die Frau gegenüber von ihnen den ganzen Tisch mit ihren Tiraden über die Witwen von Jeju unterhielt, die nackt nach Meeresfrüchten tauchten. Aufgeregt fragte sie ihre Tochter, was sie gehört hatte.
»Zuerst konnte ich es nicht richtig verstehen«, berichtete Hana, »aber dann klang es, als ob Eun-Mee Yoon-Shin Kang, der Mutter des Apothekers, anbot, sie nächsten Monat als Geldempfängerin vorzuschlagen, wenn sie heute für sie stimmt.«
»Aha, eine kleine Mauschelei – das habe ich von Anfang an vermutet«, gab Soo-Ja zurück.
»Aber ich verstehe das nicht ganz. Ich habe nämlich gehört, wie sie Ae-Rin Bae, der Leiterin des Badehauses, den gleichen Vorschlag gemacht hat. Eun-Mee wollte auch ihren Namen im nächsten Monat aufschreiben, wenn sie ihr heute einen Gefallen täte. Wie soll das denn gehen, wenn sie schon die Mutter des Apothekers vorschlagen will?«
So, so, da war Eun-Mee also von Tisch zu Tisch gegangen und hatte reihenweise solche Geschäfte geschlossen, und jede ihrer Partnerinnen hielt sich für die einzige. Soo-Ja spannte unwillkürlich die Muskeln an. In weniger als einer Viertelstunde begann die Abstimmung. Sie hatte keine Zeit mehr, um irgendetwas gegen diese Machenschaften zu unternehmen. Eun-Mee würde den Topf gewinnen.
»Ich wäre nicht überrascht, wenn Eun-Mee nächsten Monat nicht mehr auftaucht«, sagte Soo-Ja.
»Was passiert denn dann?«
»Dann ist das ganze Geld weg, einfach so.«
»Dann mach was!«, drängte Hana. »Sag doch was!«
Soo-Ja dachte über ihre Möglichkeiten nach. Sie konnte zu Hyung-Soon Oh, der Vorsitzenden, gehen, und ihr
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