Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)
koche dir einen Kamillentee, das beruhigt.«
Sara ging in die Küche und traf dort auf Malik, der am Tisch saß. Sie warf ihm einen misstrauischen Blick zu und ging dann wortlos an ihm vorbei. Sie wusste, dass Malik als fanatischer Anhänger der wahhabitischen Lehre ein enthaltsames Leben führte: Er lehnte Luxus und Ausschweifungen ab, aß nur maßvoll, rauchte und trank nicht, wettete nicht, verabscheute Musik und Tanz, hielt sich streng an die täglichen fünf Gebete und den Fastenmonat Ramadan und pilgerte regelmäßig nach Mekka. Häufig saß er mit untergeschlagenen Beinen auf dem Fußboden in seinem Zimmer und meditierte. Er machte keinen Hehl daraus, dass er alles hasste, was aus dem Westen kam, insbesondere die Frauen, die er »Konkubinen des Teufels« nannte. Nach seiner Ansicht lockten diese die Männer mit ihren halbnackten Körpern, reizten mit ihren bemalten Gesichtern, betörten mit schweren Parfüms und stellten schamlos ihre Sinnlichkeit zur Schau.
»Guten Abend, Sara«, grüßte er sie ungewohnt freundlich, doch der Algerierin entging nicht, dass er nervös wirkte. »Was machst du da?«
Sara warf ihm erneut einen misstrauischen Blick zu, bevor sie antwortete. »Ich koche einen Tee für Francesca.«
Malik stand auf und lief ziellos in der Küche auf und ab. Nervös knetete er seine Hände und biss sich auf die Unterlippe. Als er hörte, wie sie den Tee in die Tasse goss, blieb er wie angewurzelt stehen.
»Kasem sucht dich«, sagte er plötzlich. »Los, Sara, geh schon, Kasem will dich sprechen«, drängte er sie zur Eile. Als die Frau die Küche verlassen hatte, zog er eine karamellfarbene Ampulle aus der Hosentasche. »Allah sei gepriesen für diese Gelegenheit«, stieß hervor. Den ganzen Tag hatte er bereits auf solch einen Moment gewartet. Er brach die Glasampulle auf, schüttete den Inhalt in den Kamillentee und rührte um. Dann sammelte er die Reste der Ampulle zusammen, steckte sie in die Tasche und sah sich noch einmal um, bevor er die Küche durch die Hintertür verließ.
Sara, die verblüfft festgestellt hatte, dass Kasem gar nichts von ihr wollte, blieb überrascht in der Küchentür stehen, als sie sah, dass Malik verschwunden war.
»Dieser Idiot«, murmelte sie und zuckerte den Tee, bevor sie ihn Francesca brachte. »Trink schön aus, meine Liebe, dann kannst du schlafen.«
Francesca beendete den Brief an Marina. Während sie darauf wartete, dass der Kamillentee abkühlte, zog sie sich aus und schlüpfte in Nachthemd und Morgenmantel. Dann setzte sie sich wieder an den Frisiertisch, wo sie einen Brief an ihre Mutter begann. »Wenn du wüsstest, wie glücklich ich bin«, schrieb sie in der ersten Zeile und trank einen Schluck Tee. Er schmeckte bitterer als sonst. Vielleicht hatte Sara ihn länger ziehen lassen, dachte sie und schrieb weiter.
Nach einer Weile verschwammen die Buchstaben, und Francesca merkte, dass sie die Augen nur mühsam offen halten konnte. Ihre Arme wurden schwer, ein Kribbeln lief durch ihre Beine bis in die Zehenspitzen, und ihr wurde klar, dass sie unmöglich würde aufstehen können. Sie versuchte gegen die Müdigkeit anzukämpfen, die sie überkam, aber ihre Muskeln waren schlaff, und ihr Kopf fühlte sich an wie Watte. Der Füllhalter glitt ihr aus der Hand und verspritzte dicke blaue Flecken, als er zu Boden fiel. Sie betrachtete den Saum des Morgenmantels, der mit Tinte bespritzt war, und beugte sich vor, um ihn zu reinigen. Doch ihr Kopf sank nach vorn, als führte er ein Eigenleben, und schließlich fiel Francesca zu Boden. Sie hatte das Gefühl, von einem endlosen Schlund verschluckt zu werden. Bevor sie das Bewusstsein verlor, empfand sie eine beklemmende Einsamkeit.
Minuten später schlüpfte Malik in Francescas Zimmer. Lautlos war er durch die dunkle Botschaft geschlichen. Er wusste genau, wie viele Schritte er machen musste und wo die Möbel standen. Seit Tagen hatte er sich den Weg durch den langen Korridor eingeprägt, der den Dienstbotentrakt mit den Zimmern verband.
Das Bett im Schlafzimmer war unberührt, die Nachttischlampe brannte. Leise ging er vorwärts, bis er Francesca bewusstlos auf dem Boden liegen sah. Er tippte sie mit dem Fuß an und stellte fest, dass sie tief und fest schlief und in den nächsten Stunden nicht aufwachen würde. Er schulterte sie und trat auf den Flur hinaus; falls er Stimmen oder Geräusche hörte, würde er sie einfach liegen lassen und verschwinden.
Mit seiner Beute, die schwer wie ein Sack war, ging Malik
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