Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)
stürzte sich Kamal auf Abenabó und Kader, packte sie beim Kragen und begann sie wüst zu beschimpfen. Es gelang Jacques und Mauricio, den Prinzen festzuhalten und in den Wagen zu schieben. Mauricio sprang hinters Steuer, fuhr mit quietschenden Reifen los und ließ die beiden erschütterten Leibwächter auf der Landebahn stehen.
17. Kapitel
Der ekelerregende Gestank von ranzigem Öl und verbranntem Gummi stieg ihr in die Nase und verschlimmerte ihre Übelkeit. Ihre Hände fühlten sich taub an, und ihre Handgelenke schmerzten. Sie hatte die Knie zur Brust angezogen, und ihre Beine waren ganz steif und starr. Als sie versuchte, sie zu bewegen, schoss ihr ein stechender Schmerz bis in die Zehenspitzen. Es war stockdunkel, so dass sie nicht sehen konnte, wo sie sich befand. Im Bett lag sie ganz offensichtlich nicht; vielleicht war sie auf den Boden gestürzt. Der Füllfederhalter, die Tintenflecken, der besudelte Morgenmantel … Erinnerungsfetzen schwirrten ihr durch den Kopf. Sie versuchte aufzustehen, aber es gelang ihr nicht einmal, Arme oder Beine zu bewegen. Stattdessen überrollte sie erneut der Schmerz. Sie wurde gleichmäßig durchgeschüttelt; manchmal hörten die Erschütterungen für Momente auf, um dann ruckartig wieder einzusetzen.
Francesca befand sich, an Händen und Füßen gefesselt und mit verbundenen Augen, hinten in einem alten, schmutzigen Jeep, der auf dem Weg zu dem Ort war, wo ihre Entführer sie gefangen zu halten gedachten. Sie spürte nur ihre ausgedörrte Kehle, das Pochen in Knöcheln und Handgelenken und die sengende Hitze. Schweiß rann ihr über Brust und Bauch, doch sie nahm es gar nicht wahr. In einem Gespinst aus Bildern gefangen, glaubte Francesca, immer noch in der Botschaft zu sein. Sie hatte schrecklichen Durst und versuchte das Wasserglas zu erreichen, das Sara ihr jeden Abend auf den Nachttisch stellte. Ihre Mutter und der gestrige Streit am Telefon fielen ihr wieder ein.
»Mama …«, wimmerte sie, und ein Zittern durchlief sie, weil ihr der Hals so wehtat vor Anstrengung.
»Sie kommt zu sich«, sagte eine Stimme auf Arabisch.
»Gib ihr noch eine Spritze«, befahl eine zweite Stimme, die schneidender klang.
»Sie ist noch völlig benommen. Sie könnte keiner Fliege was zuleide tun.«
»Tu, was ich dir sage.«
Der Mann, der neben dem Fahrer saß, holte eine Spritze aus einem Blechkästchen, nahm die silberne Kappe ab und gab Francesca eine Injektion in den Unterarm. Kurz darauf versank sie wieder in einer unwirklichen Welt aus wirren Träumen.
***
Auf der Fahrt zur Botschaft schilderten Jacques und Mauricio Kamal die gesamte Lage, die befürchten ließ, dass Francesca entführt worden war.
»Heute Morgen«, erzählte der Botschafter, »bemerkte die Haushälterin Sara, dass Francesca nicht da war, und ging in ihr Zimmer. Sie fand das Bett unbenutzt vor, und das Licht auf dem Frisiertisch brannte. Das kam ihr merkwürdig vor, und sie begann, im ganzen Haus nach ihr zu suchen. Niemand hatte Francesca weggehen sehen. Kasem, einer der Fahrer, versicherte, er sei sehr früh aufgestanden, und da hätte sich Francesca weder in der Küche noch im Dienstbotentrakt befunden.«
»Und dieser Malik?«, fragte Kamal dazwischen. »Was ist mit dem?«
»Damit kommen wir der Sache vermutlich schon näher«, stellte Jacques fest, »denn auch Malik ist verschwunden, und niemand hat ihn die Botschaft verlassen sehen. Das Auto, das ihm zugewiesen ist, steht wie immer in der Garage.«
»Außerdem ist das, was Sara erzählte, mehr als verdächtig«, ergänzte Dubois. »Gestern habe Francesca die ganze Zeit geweint, nachdem sie am Telefon einen Streit mit ihrer Mutter hatte. Als sie dann von deiner Rückkehr erfuhr, war sie so aufgeregt, dass sie nicht schlafen konnte. Sara wollte ihr einen Kamillentee machen, damit sie zur Ruhe kommt. In der Küche traf sie auf Malik, der, wie sie sagt, ungewöhnlich nervös gewirkt habe. Während Sara den Tee aufgoss, behauptete Malik, man habe nach ihr gerufen. Sie verließ für ein paar Minuten die Küche, obwohl gar niemand etwas von ihr gewollt hatte. Als sie zurückkam, war Malik nicht mehr da. Sie dachte sich nichts weiter dabei, nahm den Tee und brachte ihn Francesca aufs Zimmer. Das war das letzte Mal, dass sie sie gesehen hat. Dein Onkel Abdullah hat den Rest des Kamillentees zur Untersuchung weggegeben, weil wir vermuten, dass Malik Beruhigungstropfen hineingeschüttet hat, um Francesca aus der Botschaft zu schaffen. Wir glauben, dass er
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