Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)
zusammensank.
***
Abdel bin Samir hatte eine Entscheidung getroffen: Er würde Prinz Kamal sagen, was er über die Christin wusste. Bereits seit einer ganzen Weile wartete er in einem Mietwagen vor al-Sauds Wohnung im Malaz-Viertel. Dass der Prinz in Lebensgefahr schwebte, entband ihn von seinem Treueschwur gegenüber Saud al-Saud. König Abdul Aziz hatte Kamal geliebt und hätte unter diesen Umständen nicht gezögert, ihn zu seinem Nachfolger zu ernennen.
Die Sache mit der Christin hatte von Anfang an gestunken. Nach seiner Meinung gab es andere, weniger drastische Methoden, um eine lästige Frau loszuwerden: Bestechung, Drohungen oder ein ordentlicher Schrecken gehörten zu den wirkungsvollsten. Sie einem Terroristen auszuliefern, war lächerlich, unangemessen und auch unglaubwürdig. Abdel hatte immer vermutet, dass Prinz Kamal das eigentliche Opfer sein sollte. Sein Gespräch mit Fadhir hatte seinen Verdacht bestätigt.
Unverwandt beobachtete er Kamals Haus im Malaz-Viertel. Als er schon die Hoffnung zu verlieren begann, kam endlich der grüne Jaguar des Prinzen in Sicht. Abdel lehnte sich im Sitz zurück und wartete, dass al-Saud parkte. Er sah, wie er aus dem Wagen stieg und eilig zum Eingang seines Hauses ging. Das Gesicht vollständig verhüllt, stieg Abdel aus seinem Mietwagen, schaute sich um und folgte ihm. Bevor Kamal die Eingangstür schließen konnte, rief Abdel ihn leise an und zeigte sein Gesicht.
»Abdel«, sagte Kamal verwundert. »Was machst du hier? Warum bist du nicht mit meinem Bruder in Griechenland?«
»Er hat mir hier einen Auftrag gegeben, deshalb sollte ich dableiben«, sagte er und sah ihn flehend an. »Können wir reden, Hoheit?«
»Jetzt nicht.« Kamal versuchte zu verbergen, wie gern er den alten Leibwächter losgeworden wäre, der ihn mit Sicherheit um eine Gefälligkeit bitten wollte. Um Geld vielleicht, das hatte er früher schon einmal getan.
»Ich habe Ihnen etwas zu sagen, das Sie interessieren wird, Hoheit. Es geht um das Christenmädchen.«
Kamal blieb stehen und sah ihn an. Seine Verwirrung währte nur einige Sekunden, dann winkte er mit dem Kopf, und Abdel folgte ihm ins Haus. Sie gingen nach hinten, wo sich ein kleiner Garten befand.
»Rede«, sagte Kamal.
»Mademoiselle de Gecco befindet sich im Khazneh-Tempel in Petra, fünfzig Kilometer nördlich von Aqaba, in Jordanien. Sie wird von dem Terroristen Abu Bakr festgehalten.«
»Woher weißt du das?«
»El-Haddar und ich haben sie an der jordanischen Grenze an Abu Bakrs Terroristen übergeben«, sagte er und hielt Kamals Blick in der Gewissheit stand, das Richtige zu tun. »Es tut mir leid, Hoheit, aber ich dachte, es wäre das Beste für Sie und für Saudi-Arabien. Erst später habe ich den eigentlichen Plan begriffen.«
»Welchen Plan?«
»Sie zu ermorden.«
»Mein Bruder steckt hinter der ganzen Sache, stimmt’s?«
Abdel nickte nur.
»Woher weiß ich, dass du mich nicht anlügst? Woher weiß ich, dass das nicht Teil des Plans ist, um mich aus dem Weg zu schaffen?«
»Das können Sie nicht«, räumte der Leibwächter ein. »Sie müssen mir vertrauen und daran denken, wie sehr ich Ihren Vater geliebt und verehrt habe. Sie waren sein Lieblingssohn, und das ist es, was in diesem Moment zählt. Ich habe gesagt, was ich weiß, jetzt können Sie nach Gutdünken mit mir verfahren. Sie können mich ins Gefängnis werfen oder öffentlich hinrichten lassen – Sie entscheiden.«
»Warte hier auf mich«, ordnete Kamal knapp an und ging ins Haus. Er wusste, dass der Leibwächter nicht weglaufen würde.
***
»Das ist doch eine Falle«, sagte Abdullah.
Sie saßen in seinem Büro und warteten darauf, dass Abenabó und Kader Maliks Leiche entsorgten. Kamal hatte seinen Onkel soeben von seinem Telefonat mit dem Entführer berichtet, von den wenigen Worten, die er mit Francesca gewechselt hatte, und von Abdel bin Samirs außergewöhnlichem Geständnis.
»Das ist eine Falle!«, sagte Abdullah noch einmal, zunehmend aufgebracht, je länger er die Situation bedachte.
»Das Mädchen interessiert sie eigentlich nicht«, stellte Méchin fest. Er sprach wie zu sich selbst, als wollte er das Vorgefallene begreifen. »Du bist es, den sie haben wollen. Sie wissen, dass du der OPEC ablehnend gegenüberstehst und dass du Kontakte zur Kennedy-Regierung unterhältst, deshalb wollen sie dich kaltstellen.«
»Sie werden dich umbringen!«, rief Abdullah aufgebracht, weil sein Neffe die Tragweite dieser Aussage nicht zu begreifen
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