Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)
intravenöse Lösung. Schwester, tauchen sie ein Stück Gaze in kaltes Wasser und befeuchten Sie ihr die Lippen.«
»Ich mache das«, erklärte Kamal und nahm der Schwester die Gaze ab. »Hallo, Liebling. Wie fühlst du dich?«
»Ein bisschen schwach«, murmelte sie.
Kamal befeuchtete ihre Lippen mit der Gaze und küsste sie dann. Sie schloss die Augen und atmete den Moschusduft ein, den sie so sehr liebte. Endlich war der Albtraum zu Ende.
»Und das Baby?«, fragte sie dann plötzlich und sah den Arzt an.
An Kamals Reaktion, der auf einmal ganz ernst wurde und ein wenig zurückwich, merkte sie, dass etwas nicht stimmte.
»Und mein Baby?«, fragte sie noch einmal unsicher.
Der Arzt trat ans Bett und erklärte ihr ganz direkt, dass sie aufgrund der Schläge, die sie erhalten habe, und wegen ihres schlechten Allgemeinzustands eine Fehlgeburt erlitten habe. Francesca wandte das Gesicht ab, krümmte sich zusammen und begann zu weinen. Fadila umklammerte Jacques’ Arm, der die Tränen nicht zurückhalten konnte. Mauricio verließ eilig das Zimmer.
Kamal nahm sie in den Arm und vergrub das Gesicht in ihrem Haar. Er flüsterte ihr tröstende Worte zu, die sie nicht hörte. Wie von Sinnen wiederholte sie immer wieder, dass man ihr Baby umgebracht habe, dass sie es nicht hatte schützen können, als sie geschlagen wurde, dass sie es umgebracht hatten. Auf eine leise Anweisung von al-Zaki spritzte die Schwester ihr eine starke Dosis Valium. Francesca begann auf Spanisch vor sich hin zu murmeln. Sie sprach von ihrer Mutter und von Fredo, und jeder zusammenhanglose Satz traf al-Saud tief ins Herz. Er nahm ihre Hand, küsste sie und streichelte ihr über die Stirn.
Minuten später war Francesca eingeschlafen. Es war ein unruhiger Schlaf, in dem sie wie in den Höhlen von Petra voller Angst Kamals Namen rief, und obwohl Kamal immer wieder sagte: »Ich bin da, Liebling, ich bin bei dir«, hörte sie nicht auf, nach ihm zu rufen.
***
Eine Woche später wurde sie entlassen, doch Dr. al-Zaki verordnete ihr strenge Bettruhe, Schonkost und Erholung. Während ihres Klinikaufenthalts hatte Francesca sich wieder gefasst. Man ließ sie nie allein, und alle bemühten sich, sie mit harmlosem Geplauder abzulenken. Das Wiedersehen mit Sara, die im Wechsel mit Kasem die Nächte in der Klinik verbrachte, hatte sie sehr berührt.
Niemand erwähnte die Entführung, aber sie wollte mehr erfahren und fragte nach. Man versicherte ihr, dass keiner ihrer Häscher auf freiem Fuß sei, doch es beunruhigte sie, dass sie weiterhin von Abenabó und Kader bewacht wurde. Kamal knurrte nur, wenn sie ihn darauf ansprach, und wurde noch wortkarger als sonst. Er legte ein sonderbares Verhalten an den Tag, das ihr Angst machte. Da war etwas in seinem Blick, das sie nicht von ihm kannte. Trauer vielleicht? Ja, Trauer und Schmerz; schließlich hatte auch er sein Kind verloren. An einem der wenigen Abende, die sie für sich allein hatten, hatte Francesca ihn schließlich gefragt, warum er so schweigsam und in sich gekehrt sei.
»Ich kann nicht mit der Schuld leben«, hatte er gesagt.
Jacques Méchin klopfte an der Tür und gab Bescheid, dass al-Zaki soeben die Entlassungspapiere unterzeichnet habe. Als Francesca die Klinik verließ, wurde sie von zwei Wagen mit bis an die Zähne bewaffneten Leibwächtern eskortiert. Abdullah hatte seinem Neffen den besten Schutz für das Mädchen versprochen – unter der Bedingung, dass sie sofort das Land verließ, sobald sie wieder völlig hergestellt sei. Saud und sein Minister Tariki waren nach wie vor straffrei und auf freiem Fuß, und Kamal schwor sich, dass er nicht eher ruhen würde, bis sie verfemt und verachtet im Exil saßen, während man ihn selbst zum Herrscher proklamierte. Sobald sie aus der Politik verschwunden wären, könnte ihnen leicht etwas zustoßen. Fürs Erste hielt ihn diese Aussicht aufrecht.
Mit Ausnahme von Sara und Kasem kannte niemand von den Botschaftsangestellten die wahren Gründe für Francescas Verschwinden. Trotz der gedrückten Stimmung – die politische Lage in Argentinien war unsicher und verhieß nichts Gutes – veranstalteten sie eine kleine Willkommensfeier.
Nach allem, was sie erlebt hatte, war Francesca dankbar für die tägliche Routine in der Botschaft. Sie stürzte sich in Akten, Sitzungsprotokolle, Berichte und alles, was den Schmerz darüber betäubte, dass ihr Bauch nichts als eine leere Hülle war. Aber man ließ sie nicht viel machen, weil sie die meiste Zeit
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