Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)
Bild, das er sich in seiner Eifersucht von Kamal gemacht hatte, besaß keinerlei Ähnlichkeit mit der Realität. Genau wie Antonina war er beeindruckt von dessen Größe und Eleganz, von der Art, sich zu bewegen und zu sprechen, und von der Selbstsicherheit, die er ausstrahlte. Es war nicht erstaunlich, dass Francesca seinem Zauber verfallen war. Neben diesem älteren, erfahrenen Mann kam er sich wie ein Schuljunge vor. Seiner Niederlage bewusst, gratulierte er ihnen zur Verlobung und ging. Francesca sah Kamal ängstlich an, doch der nahm sie in die Arme und küsste sie auf die Stirn.
Am Abend war sie immer noch bedrückt und klopfte an Fredos Schlafzimmertür. Er saß gemütlich in seinem Lieblingssessel, rauchte eine Pfeife und las.
»Was schaust du so traurig?«
»Warum bin ich glücklich und Aldo so unglücklich?«, fragte sie. »Ich wünschte, alle wären so glücklich wie ich. Ich fühle mich schuldig, Onkel. Meinetwegen ist Aldos Ehe gescheitert, meinetwegen findet er keine Ruhe.«
»Sag das nicht. Du bist ungerecht mit dir selbst. Hast du ihn etwa verlassen, um einen anderen zu heiraten? Musste er aus Córdoba weggehen, um zu vergessen? Du musst dich nicht schuldig fühlen. Du kannst nichts dafür, dass Aldo sich in dich verliebt hat und dass er dann nicht für diese Liebe eingestanden ist.«
Es stimmte: Nicht sie war schuld an der Trennung gewesen. Nicht sie hatte erst von Liebe gesprochen und dann ein paar Wochen später einen anderen geheiratet. Fredo hatte recht, sie hatte sich nichts vorzuwerfen. Aber sie litt trotzdem mit Aldo.
»Eigentlich fühle ich mich schuldig, weil ich erst durch die gescheiterte Beziehung zu Aldo die wahre Liebe kennengelernt habe. Als wäre es nötig gewesen, Aldo zu opfern, damit ich mit Kamal glücklich werden kann.«
»Ich habe dir schon öfter gesagt, dass nichts auf dieser Welt durch Zufall geschieht. Der Große Architekt verbindet die Schicksalslinien, ohne dass wir seine Absichten immer sofort erkennen. Aber früher oder später werden wir sie durchschauen. Vielleicht wirst du eines Tages herausfinden, warum Aldo heute leiden muss.« Nach einer kurzen Pause bat Fredo sie: »Sei glücklich, Francesca, genieße den Augenblick und verdirb dir dieses Glück nicht durch Gedanken an jemanden, der alt genug ist, um sein Leben selbst in die Hand zu nehmen, so wie du es getan hast.«
Francesca küsste ihren Onkel auf die Stirn und wünschte ihm eine gute Nacht.
***
Kein Priester würde einwilligen, eine Katholikin mit einem Muslim zu trauen, da gab es gar keine Diskussion. Also wurde alles für den Dispens in die Wege geleitet, der Antonina so zu schaffen machte. Ihre Tochter würde in Sünde leben, nichts konnte sie vom Gegenteil überzeugen. Auf inständiges Bitten von Francesca willigte Kamal ein, standesamtlich in Córdoba zu heiraten, obwohl ihm Paris lieber gewesen wäre. Am Abend vor der Trauung überreichte Kamal Francesca beim Abendessen in Fredos Wohnung den Platinring mit dem Solitär, den er Monate zuvor bei Tiffany’s für sie gekauft hatte. Auf der Innenseite stand in Französisch: »Für Francesca, meine Liebe. K.« Er steckte ihr den Ring an, und Francesca schlug die Hände vors Gesicht, um die Tränen der Rührung zu verbergen.
Nach der standesamtlichen Trauung in einem dunklen, nicht sehr ansprechenden Büro, bei der Sofía und Nando als Trauzeugen fungierten, gab es einen kleinen Empfang im Salon des Crillon. Francesca trug ein tailliertes Chanelkostüm aus elfenbeinfarbener Seide, das Kamal ihr aus Paris mitgebracht hatte. Am Revers waren zwei Kamelien aus Seide befestigt. Das offene Haar fiel ihr in schwarzen Wellen schwer und glänzend über die Schultern. Kamal bewunderte von ferne ihr schönes Gesicht und die Rundungen ihres Körpers, die durch das Chanelkostüm noch betont wurden: ihre vollen Brüste, die schmale Taille, die runden Hüften, jede einzelne Körperpartie, die er besser kannte als jeder andere. ›Meine Frau‹, sagte er sich immer wieder, und ein warmes, wohliges Gefühl dämpfte sein Bedürfnis, jeden zu verprügeln, der es wagte, sie anzufassen.
Unter den Gästen waren neben Sofía und Nando auch einige Schulfreundinnen von Francesca, mehrere Angestellte der Zeitung, darunter Fredos Sekretärin Nora, das Personal der Martínez Olazábals sowie einige Freunde von Fredo, größtenteils Journalisten und Persönlichkeiten aus Politik und Kultur, die das Gespräch mit dem Prinzen höchst anregend fanden. Sie merkten bald, dass er
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