Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)
Sekretärin.
»Ich habe Ihnen etwas mitzuteilen, Francesca.«
»Ja, bitte?«
»Heute Morgen kam ein Versetzungsschreiben.« Er blickte auf. Seine Sekretärin sah ihn mit großen Augen an. »Die Versetzung betrifft Sie, Francesca.« Angesichts des verwirrten Gesichts des Mädchens setzte er rasch hinzu: »Gleich nachdem die Weisung kam, habe ich einige Anrufe getätigt, um es zu verhindern, allerdings erfolglos. Der Befehl kommt von ganz oben und ist nicht rückgängig zu machen. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
»Warum ich?«, wollte sie wissen. »Ich arbeite erst seit vier Monaten in Genf. Weshalb werde gerade ich versetzt? Die Weisung kommt von ganz oben, sagen Sie? Falls ich … Ich verstehe das nicht.« Nach kurzem Schweigen fragte sie: »Wohin werde ich versetzt?«
»An die Botschaft in Saudi-Arabien.«
»Saudi-Arabien!«, wiederholte sie. Die Tischnachbarn drehten sich zu ihr um und sahen sie an. Sie murmelte eine Entschuldigung, nahm ihre Tasche und verließ den Tisch.
Sie rannte zur Toilette und schloss die Tür hinter sich. Um sie herum herrschte eine Leere, die alle Geräusche von außen erstickte. Gegen die Tür gelehnt, betrachtete sie sich im Spiegel: Ihr Kinn bebte, und in ihren Augen glitzerte es. Dann begann sie bitterlich zu weinen. Sie weinte aus Wut, aus Ohnmacht, aus Traurigkeit, aus Angst. Noch offene Wunden rissen wieder auf, mischten sich mit der neuen Demütigung und machten ihr das Herz schwer. Irgendwann wusste sie gar nicht mehr, warum sie weinte. Aldo, ihre Mutter, Córdoba, Fredo, Genf. Ungeordnete Erinnerungen kamen ihr in den Sinn und erfüllten sie mit Schmerz und Verwirrung.
Die drückende Mittagshitze machte ihr zu schaffen. Sie verriegelte die Tür und legte das Jackett ab, dann wusch sie ihr Gesicht mit kaltem Wasser und entfernte die Wimperntusche unter den Augen. Danach fühlte sie sich wieder besser. Während sie ihre Frisur richtete, dachte sie noch einmal über die unglückselige Versetzung nach.
»Natürlich!« Auf einmal war ihr alles klar. »Wieso habe ich nicht früher daran gedacht? Die Frau des Konsuls! Sie hat meine Versetzung verlangt.«
Das betretene Verhalten des Konsuls und die empörten Blicke seiner Frau während des Essens bestätigten ihre Vermutung. Die Reise neulich nach Buenos Aires, dachte sie. Da musste sie das alles durch irgendwelche Verbindungen zum Außenministerium ausgeheckt haben. Es gab keinen Zweifel mehr für Francesca. Sie war erleichtert, der Sache auf den Grund gekommen zu sein, doch gleich darauf stieg ihr die Zornesröte ins Gesicht. Sie biss die Zähne zusammen und ballte die Fäuste. Hätte sie vor ihr gestanden, sie hätte die Frau ihres Chefs geohrfeigt. »Dieses verdammte Miststück! Die hätte mich zur Botschaft auf den Galapagos-Inseln geschickt, wenn es da eine gäbe.« Wie eine Furie stürzte sie aus dem Toilettenraum und stieß, blind vor Wut, mit einem Mann zusammen, der sie auffing, bevor sie der Länge nach hinfallen konnte. Sie murmelte ein Danke, als er ihr die Tasche reichte, und rauschte davon.
Als sie ins Büro kam und Marinas ernste Miene sah, war Francesca klar, dass ihre Freundin schon von der Versetzung wusste. Mit einem Seufzer ließ sie sich auf den Stuhl fallen.
»Das habe ich bekommen, als du bei dem Essen warst«, sagte Marina und hob eine Akte mit der Aufschrift »Eilig« hoch. »Dein Chef hat sie mir geschickt.«
»Ich hab’s gerade erfahren. Der Konsul hat es mir beim Essen erzählt.«
»Er muss am Boden zerstört sein. Es wird ihm nicht gefallen, sein ›Wunder von Córdoba‹ zu verlieren.«
»Da kann er sich bei seiner Frau bedanken«, bemerkte Francesca ironisch. Dann ließ sie den Kopf hängen. »Ach, Marina, warum passiert mir das alles? Ich bin es leid.«
»Du denkst, seine Frau habe von ihm verlangt, dich aus dem Konsulat zu entfernen?«
»Ich glaube nicht, dass sie es von ihm verlangt hat, sondern dass sie irgendwas im Außenministerium gedreht hat. Vergiss nicht, sie ist gerade aus Buenos Aires zurückgekehrt.«
»Sie hat dich erst nach dieser Reise kennengelernt. Sie konnte nicht wissen, dass du jung und hübsch bist. Du hättest genauso gut alt und hässlich sein können.«
»Vielleicht hat ihr jemand vom Ministerium die Akte gezeigt, in der mein Alter steht. Ich weiß, es sind nur Vermutungen. Aber du wirst mir doch recht geben, dass das zu viel des Zufalls wäre: Erst ihre Abneigung gegen mich und dann diese plötzliche Versetzung.«
»Ja, das stimmt«, räumte Marina
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