Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)
›Die Wüste‹, dachte sie. Schon das Wort machte ihr Angst.
In den nächsten Tagen stapelten sich immer mehr Akten, Berichte und Dokumente auf ihrem Schreibtisch. Der Konsul war schweigsam und wich ihrem Blick aus. Er erhöhte lediglich den Papierstoß immer weiter mit den Worten: »Machen Sie das noch fertig, bevor Sie gehen.« Manchmal hätte Francesca ihn am liebsten bei den Schultern gepackt, geschüttelt und ihm ins Gesicht geschrien: »Hören Sie, guter Mann, Ihre Frau war es, die mich hier rausgeworfen hat!« Am Ende tat er ihr leid.
Sie bekam mehrere Anrufe vom Auswärtigen Amt in Buenos Aires, die sie mit Hinweisen und Ratschlägen überhäuften. Es sei ganz wichtig, dass sie aufmerksam das Material über Sitten und Gebräuche in muslimischen Ländern studiere, das man ihr geschickt habe. Man erklärte ihr, dass ihre Aufgaben als persönliche Assistentin des Botschafters über die einer einfachen Sekretärin hinausgingen. Das Kaffeekochen gehöre ebenso zu ihren vielfältigen Pflichten wie der förmliche Empfang eines Mitglieds des saudischen Königshauses. »Es ist eine sehr kleine Botschaft mit wenig Personal«, hieß es. »Sie sind für alle möglichen Dinge zuständig.« Sie hatte keine Angst vor der Arbeit und den vielfältigen Aufgabenbereichen, auf die das Auswärtige Amt so ausdrücklich hinwies. Im Gegenteil, es gab ihr das Gefühl, wichtig zu sein.
Drei Tage später traf ein Telegramm mit Alfredos Antwort ein: »Nimm an. Das ist eine großartige Chance.« Zwei Wochen darauf folgte ein ausführlicher Brief, den Francesca so oft las, bis sie ihn auswendig konnte. Sie war überrascht, denn sie hatte nicht gewusst, dass sich ihr Onkel so gut auskannte. Er sprach von der geopolitischen Bedeutung der Länder der Arabischen Halbinsel, insbesondere Saudi-Arabiens; davon, wie die Moderne die westliche Welt in immer größere Abhängigkeit vom arabischen Öl brachte, das qualitativ hochwertig und leicht zu fördern sei. »Du wirst eine Region der Welt kennenlernen«, schloss er, »um die sich die großen Erdölgesellschaften und die Mächtigen rund um den Globus streiten.« Er fügte eine kurze Liste von Buchtiteln an, die Francesca problemlos in der Bibliothek unweit des Konsulats fand, weil sie von europäischen Autoren stammten. Zum Schluss bat Fredo sie, sich keine Sorgen wegen ihrer Mutter zu machen. Er werde mit ihr reden und sie überzeugen.
Tatsächlich hielt Antonina nichts von einem Umzug in ein Land, über das sie kaum etwas wusste.
»Saudi-Arabien!«, rief sie. »Ein Land voller Ungläubiger und Wilder!«
»Bitte, Antonina, übertreib nicht«, wandte Fredo ein.
»Was willst du?«, hielt Rosalía ihr vor. »Dass sie nach Córdoba zurückkommt und leidet?«
Antonina gab schließlich nach. Seit Aldo aus seinen Flitterwochen zurückgekehrt war, hatte er sie in einem fort nach ihrer Tochter gefragt. Manchmal war er völlig außer sich und schrie Sofía und sie an, sie sollten ihm Francescas Adresse nennen oder wenigstens ihren Aufenthaltsort. Schließlich fand sich Antonina mit der Idee ab und gab ihre Zustimmung.
Francesca verschlang die Bücher, die ihr Onkel ihr empfohlen hatte, insbesondere Die Kultur der Araber von einem gewissen Gustave Le Bon. Obwohl sie nach weiterer Literatur suchte, fand sie nicht viel. Aber das Gelesene genügte, um sich umfassend über die Gewohnheiten und Eigenarten der Araber zu informieren, die ihr ziemlich rückschrittlich vorkamen wegen ihres Machismo und der untergeordneten Stellung der Frau.
Dennoch freundete sich Francesca jeden Tag mehr mit dem Gedanken an, nach Saudi-Arabien zu reisen. »Eigentlich hat Onkel Fredo recht«, sagte sie sich. »Ich sollte diese Reise als eine Chance betrachten und nicht als Rückschlag.«
7. Kapitel
Ende September landete Francesca nach einer endlosen, erschöpfenden Reise auf dem Flughafen von Riad. Von Genf aus war sie mit dem Zug nach Frankfurt gefahren und hatte dort ein Flugzeug genommen, das nach einem zehnstündigen Flug in Dschidda ankam, der zweitgrößten Stadt Saudi-Arabiens. Dort hatte sie einen längeren Aufenthalt gehabt, weil sich ihr Anschlussflug verspätete. Ihr war nicht sehr wohl in Gegenwart der Männer mit ihren Kopfbedeckungen, die sie nicht sehr freundlich musterten. Schließlich hob ihr Flugzeug in Dschidda ab und erreichte zwei Stunden später die Hauptstadt.
Als sie das Flughafengebäude betrat, hatte sie das Gefühl, sich nun wirklich auf arabischem Boden zu befinden. Sie empfand eine
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