Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)
habe.
Francesca, die nach wenigen Wochen begriffen hatte, wie die Abläufe im Konsulat funktionierten, übernahm die Zügel in dem chaotischen Büro ihres Chefs und hatte sich bald unentbehrlich gemacht. Die Abteilungsleiter und die übrigen Angestellten sprachen lieber zuerst mit ihr als mit dem Konsul, der bei Unklarheiten und Problemen keine Lösung anzubieten hatte. Francesca wusste genau über aktuelle Vorgänge Bescheid, und bei solchen, die einige Zeit zurücklagen, recherchierte sie so lange, bis sie auf dem Laufenden war. Die Abläufe beschleunigten sich, und am Ende eines Arbeitstages blieb kaum etwas unerledigt in der Ablage zurück. Der Konsul begann, ein organisierteres Leben zu führen, verpasste keine Termine mehr, bereitete sich auf Sitzungen vor und unterzeichnete Dokumente, sobald man sie ihm vorlegte. Nach zwei Monaten nannte er Francesca lächelnd »Das Wunder von Córdoba«.
Marina schob die Wohnungssuche auf die lange Bank und schlug Francesca schließlich nach zwei Wochen vor, endgültig bei ihr einzuziehen.
»Im Ernst? Danke, vielen Dank«, akzeptierte Francesca ohne zu zögern, denn sie fühlte sich in der geräumigen, gemütlichen Wohnung sehr wohl und hing sehr an ihrer neuen Freundin.
Während der anstrengenden Arbeitstage im Konsulat sahen sie sich nur selten, von der halben Stunde Mittagspause einmal abgesehen. Nach dem Abendessen machten sie sich dann gegenseitig die Haare, lackierten sich die Fingernägel oder lümmelten sich einfach gemütlich auf das Sofa im Wohnzimmer, sprachen über die Ereignisse des Tages oder klatschten über diesen oder jenen Angestellten. An den Wochenenden unternahmen sie Ausflüge in die Stadt, die Francesca mit ihren Denkmälern, ihren Prachtbauten und der stillen Alpenkulisse faszinierte. Der Genfer See mit seiner Fontäne, die das Wasser fünfzig Meter hoch in die Luft katapultierte, war ihr bald ebenso vertraut wie die Plaza España in Córdoba. Mit Hilfe der kleinen Dampfer, die auf dem ganzen See verkehrten, besichtigten sie und Marina einige hübsche Städte und Dörfer, die an seinem Ufer lagen.
Obwohl ihr die Arbeit Spaß machte, ihr die Stadt gefiel und sie sich bei Marina wohl fühlte, musste Francesca ununterbrochen an Aldo denken. Ohne Bitterkeit sagte sie sich, dass sie durch die Abreise aus Córdoba zwar der Schande entgangen war, nicht aber dem Schmerz. Der Schmerz war allgegenwärtig, sie trug ihn mit sich herum wie eine Last, die sie nicht abwerfen konnte. Marina führte es auf das Heimweh zurück, wenn Francesca wieder einmal blass und in sich gekehrt war. Dann ging sie mit ihr aus oder organisierte Ausflüge an neue Orte und schaffte es so, sie aus ihrer Lethargie zu reißen.
***
Die Gattin des Botschafters, die soeben aus Buenos Aires zurückgekehrt war, wo sie sich aus familiären Gründen aufgehalten hatte, kam ins Büro, um die neue Sekretärin kennenzulernen. Ihr Mann hatte sie als nettes Mädchen von nebenan beschrieben. Sie betrat das Vorzimmer, ohne anzuklopfen.
»Guten Tag«, grüßte Francesca und stand auf.
»Guten Tag«, antwortete die Botschaftergattin und musterte sie von oben bis unten, während sie die Handschuhe abstreifte und auf den Schreibtisch warf. »Du bist also die neue Sekretärin?«, fragte sie.
»Ja, Francesca de Gecco, sehr erfreut.«
»Ich bin die Frau des Herrn Botschafters.«
Francesca widmete sich wieder ihrer Arbeit, während die Dame ins Büro ihres Gatten rauschte.
»Als ich dich das erste Mal sah, wusste ich gleich, dass es Probleme mit der Gräfin geben würde«, sagte Marina beim Mittagessen.
»Mit welcher Gräfin?«, fragte Francesca verwundert.
»So nennen wir die Frau des Botschafters. Siehst du nicht, dass sie sich für die Herrscherin der Welt hält? Anita, die vorherige Sekretärin, die bei dem Autounfall starb, von dem ich dir erzählte, war die Geliebte deines Chefs. Wir alle wussten es, aber die Gräfin hat es erst durch den Unfall herausgefunden. Der Botschafter und Anita waren auf der Rückfahrt von einem Wochenende in Monaco. Du als neue Sekretärin ihres Mannes musst die gute Frau um den Verstand bringen. Anita war zwar hübsch, aber du bist noch tausendmal hübscher.«
Francesca ging nicht auf das Kompliment ein. Sie war sicher, dass die eifersüchtige Frau eines untreuen Mannes nicht tatenlos zusehen würde, wenn sie die Standhaftigkeit ihres willensschwachen Mannes in Gefahr sah, und versuchte zu ermessen, welche Folgen das für sie haben könnte.
»Habe ich dir
Weitere Kostenlose Bücher