Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)
nicht sehr überzeugt ein.
»Und das Schlimmste ist das Land!«, setzte Francesca hinzu.
»Ja, Saudi-Arabien.«
»Kannst du mir etwas über die Botschaft dort erzählen?«
»Im Moment nicht, aber ich kann mich erkundigen.«
***
1919, nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, sagte Churchill im Unterhaus: »Es lässt sich nicht bestreiten, dass die Alliierten nur durch den ununterbrochenen Strom von Erdöl aus dem Nahen Osten zum Sieg gelangen konnten.« Seine Ansicht wurde auch von Lord Curzon geteilt, einem bedeutenden Mitglied der britischen Regierung, der versicherte: »Die Wahrheit ist, dass die Alliierten ihren Sieg dem Erdöl verdanken.« Georges Clemenceau wiederum, französischer Ministerpräsident und eine Schlüsselfigur bei der Niederlage der deutschen Armee, stellte unumwunden fest, »dass von nun an jeder Tropfen Erdöl für die Völker und Nationen ebenso viel wert sein wird wie ein Tropfen Blut«.
Durch das »Schwarze Gold«, wie das Erdöl nun genannt wurde, rückte die Arabische Halbinsel ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Allianz des Westens mit den Herren über jenen Rohstoff, der die moderne Wirtschaft antrieb, führte zur raschen Gründung diplomatischer Niederlassungen im jungen Königreich Saudi-Arabien, dem Emirat Kuwait, Katar, dem Emirat Abu Dhabi (die späteren Vereinigten Arabischen Emirate) und dem Sultanat Oman. Doch Saudi-Arabien besaß wegen seiner Bedeutung auf der Arabischen Halbinsel und seiner schier unerschöpflichen Ölquellen eine Vormachtstellung.
Argentinien, das damals mit innenpolitischen Querelen zu kämpfen hatte, setzte zunächst auf seine eigenen Rohstoffvorkommen und bemerkte erst spät, dass es ein Fehler war, sich einer Realität zu verschließen, die die politische Landkarte verändert hatte. 1960 begann das Außenministerium die Fühler auszustrecken, um eine Vertretung in der saudischen Hauptstadt Riad zu etablieren. Nach harten Verhandlungen – die Saudis standen jeder Öffnung vorsichtig gegenüber – wurde schließlich im Juni 1961 offiziell die Botschaft im Diplomatenviertel der saudischen Hauptstadt eröffnet.
»Der Botschafter soll ein junger Mann sein«, teilte Marina Francesca am Abend beim Essen mit, »und ein guter Kenner des Mittleren Ostens«, setzte sie hinzu und warf ihr einen vielsagenden Blick zu. »Er ist sehr kultiviert und spricht perfekt Arabisch. Viel mehr konnte ich nicht herausfinden, nur, dass es eine kleine Botschaft mit wenig Personal ist.«
Francesca stocherte lustlos in ihrem Essen herum. Marinas Worte hallten wie ein fernes Echo in ihren Ohren wider. In Genf hatte sie einen gewissen Frieden gefunden, der ihr in letzter Zeit Hoffnung gemacht hatte. Ihre unerwartete Reise nach Arabien brachte den schwachen Schutzwall, den sie um sich herum gezogen hatte, ins Wanken.
»Nicht verzweifeln, Francesca«, munterte Marina sie auf. »Wenn du mit der Versetzung in die saudische Botschaft nicht einverstanden bist, lehnst du eben ab und gehst zurück nach Córdoba. Sagtest du nicht, dass du bei der Zeitung deines Onkels gearbeitet hast? Ich bin sicher, dass er dich wieder anstellt, wenn du ihn darum bittest.«
»Ich kann nicht zurück«, antwortete Francesca mit schwacher Stimme. Sie empfand es als Erleichterung, Marina von ihrem Kummer erzählen zu können. Es war, als würde nur noch die halbe Last auf ihr ruhen. Trotzdem schlief sie in dieser Nacht schlecht. Für kurze Momente überkam sie eine wohlige Müdigkeit, die plötzlich wieder verschwand. Erhitzt und genervt wälzte sie sich in den Laken. Noch vor sechs Uhr stand sie auf und ging ins Bad. Als sie aus der Dusche kam, war die Mutlosigkeit der vergangenen Nacht neuer Energie gewichen. Plötzlich erschien es ihr fast verlockend, in eine Zukunft zu sehen, die ihr die Möglichkeit bot, eine andere Kultur und ein anderes Land kennenzulernen.
Bevor sie ins Büro ging, gab sie auf der Post ein Telegramm an Fredo auf, in dem sie ihn in knappen Worten über ihre Versetzung informierte. Ihr Onkel würde ihr raten, was sie tun sollte. Außerdem würde er herausfinden, woher diese plötzliche Anweisung kam.
Der herrliche Sommermorgen, die kühle Brise vom See und die farbenprächtigen Blumenbeete auf den Plätzen heiterten sie auf. Mit raschen Schritten ging sie die Uferpromenade entlang zur Botschaft. Sie fragte sich, wie es in Saudi-Arabien sein mochte. Sie wusste nichts über dieses Land, außer dass es in weiten Teilen von einer endlosen, glühenden Fläche aus Sand bedeckt war.
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