Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)
selbstbewusst und ihrer Tradition verbunden. Unbewusst drehte sie sich zu Kamal um, der sie seit einer Weile reglos beobachtete, und erwiderte seinen Blick. Es war das erste Mal, dass sie sein Haar sah, stellte sie fest, während sie seine kastanienbraunen Locken betrachtete. Wie viele Frauen er wohl in seinem Harem hatte? Sie kehrte ihm wieder den Rücken und tat so, als würde sie Méchin und Le Bon zuhören.
»Mademoiselle de Gecco«, hörte sie plötzlich Kamal sagen, der unbemerkt hinter sie getreten war. »Was genau meinten Sie, als sie von der Leidenschaft und der Begeisterungsfähigkeit meines Volkes sprachen?«
Nun würde sie für ihren Zynismus und ihr freches Mundwerk zahlen müssen. Sie hatte mit dem Feuer gespielt und sich verbrannt. Ein Mann, der viel älter war als sie, intelligent und geistreich, würde ihre Unverschämtheit nicht hinnehmen, ohne sich angemessen zu rächen.
»Na ja, ich …«, stotterte sie.
»Ich werde nicht zulassen, dass Sie dieses Gespräch über Erdöl, Kartelle und all diese Dinge fortführen, von denen eine Frau nichts versteht.«
Zum ersten Mal an diesem Abend war Francesca dankbar für Valeries Einmischung. Le Bons Tochter stand auf, trat zu Kamal und fasste ihn beim Arm, wobei sie darauf achtete, ihr ausladendes Dekolleté zur Schau zu stellen.
»Bitte, Kamal, sprechen Sie nicht länger über Politik. Erzählen Sie mir lieber von Ihren Pferden. Mein Vater hat mir erzählt, dass sie zu den besten der Welt gehören.«
Sie nahmen wieder auf dem Sofa Platz und plauderten angeregt. Der Abend verlief ohne weitere Zwischenfälle. Francesca tat so, als lauschte sie interessiert den Ausführungen von Méchin und Le Bon, während Kamal Valerie mit Geschichten von seinen Vollblütern unterhielt.
Trotz des Widerstands seiner Tochter war Gustave Le Bon der Erste, der sich verabschiedete. Als Francesca in den Salon zurückkam, bot sie auf einem silbernen Tablett ein weiteres Mal Kaffee und Baklava an, was Ahmed, Jacques und Mauricio gerne annahmen. Kamal entfernte sich schweigend von der Gruppe und stöberte in der Schallplattensammlung. Es war eine gute Gelegenheit, zu ihm zu gehen und sich aufmerksam und höflich zu zeigen.
»Möchten Sie noch eine Tasse Kaffee, Hoheit?«, fragte Francesca.
»Nein, danke«, sagte Kamal knapp.
Francesca seufzte entmutigt. Sie wollte gerade in die Küche gehen, als Kamal sich rasch umdrehte und sie am Handgelenk packte. Francesca warf einen verzweifelten Blick zu der Gesellschaft im Salon, die in ihr Gespräch vertieft war, ohne die Szene zu bemerken.
»Ich gehe«, sagte Kamal.
Seine Stimme war leise wie immer, aber sie verriet eine Erregung, die Francesca als Drohung interpretierte. Außerdem war da etwas in seinen Augen, ein Blitzen, das ihr den Atem raubte. Gleich würde er ihr sagen, dass sie eine ungezogene Göre war, ein gedankenloses freches Ding, das ihn vor seinen Freunden und einer Dame bloßgestellt und beleidigt hatte. Er würde ihr sagen, dass sie es nicht verdient habe, saudischen Boden zu betreten.
Doch al-Saud küsste die Innenseite ihres Handgelenks. Hätte er ihr eine Ohrfeige gegeben, sie wäre nicht weiter erstaunt gewesen. Aber mit einem Kuss hätte sie niemals gerechnet, einem Kuss aufs Handgelenk mit geschlossenen Augen, so lange, bis sie seinen heißen Atem auf der Haut spürte. Kamal ließ ihren Arm los und ließ sie stehen, als sei sie ein Möbelstück. Sie hörte ihn sagen, dass er gehen müsse, etwas von Onkeln und Geheimtreffen, das sie nicht verstand, und bevor ihr Chef nach ihr rufen konnte, verschwand sie in Richtung Küche.
***
In den Tagen nach dem Abendessen war Francesca aus mehreren Gründen völlig aufgewühlt.
Zum einen wollte sie Kamal al-Saud wiedersehen. Die Intensität ihrer Sehnsucht beschämte sie und machte sie wütend. Die Stunden, die sie ihm bei Tisch gegenübergesessen hatte, gingen ihr genauso wenig aus dem Sinn wie sein unerklärliches Verhalten am Ende: dieser Kuss aufs Handgelenk, der sie in der Seele berührt hatte. Er will mit dir spielen, sagte sie sich. Und plötzlich wurde ihr klar, dass dieser Kuss die beste Rache für all ihre Unverschämtheiten gewesen war. Er wusste, dass sie ihn nicht würde vergessen können und sie noch tagelang seinen Atem auf ihrer Haut spüren würde. Sie hatte es nicht anders verdient: In ihrer dummen Eitelkeit hatte sie sich mit einem Löwen eingelassen, und der Löwe hatte sie zunächst gewähren lassen, um dann zuzupacken und sie in seinem Griff zu
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