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Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)

Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)

Titel: Was deine Augen sagen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florencia Bonelli
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einzelnen Stücke des arabischen Rätsels zusammenfügten und sie ihre Bedeutung begriff, die so komplex war in ihrer Andersartigkeit und doch so faszinierend. Dieses Volk hatte Invasionen, Besatzungen, Kriege und Plünderungen ertragen und sich mit bewundernswerter Kühnheit Armeen entgegengestellt, die ihrer eigenen um ein Vielfaches überlegen waren. Waren die Kreuzzüge nicht Beweis genug dafür? Aber sie konnte nicht so einfach den traurigen Blick hinter dem Fenster vergessen. Francesca stieß einen Seufzer aus und drehte die Scheibe herunter, um frische Luft zu bekommen. ›Ich werde diese Menschen nie verstehen‹, gab sie sich schließlich geschlagen.
    Malik hielt wenige Meter vom Markt entfernt, und ein Dutzend schmutziger Kinder drängte sich um die Wagentür und rief etwas auf Arabisch. Malik stieg aus und verjagte sie mit Drohungen und Fußtritten.
    »Was wollten diese Kinder?«, fragte Francesca, ohne ihren Unmut darüber zu verbergen, wie er sie behandelt hatte.
    »Sie wissen, dass der Wagen einer Botschaft gehört, und kommen, um zu betteln. Manche bieten sich auch als Führer über den Markt an.«
    »Ich hätte einen Führer gut gebrauchen können. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.«
    »Ich kenne mich bestens aus.«
    »Dann bring mich zu einem Goldschmiedeladen.«
    Auf dem Markt kam man kaum vorwärts. Der größte Bazar von Riad bestand aus Hunderten von schmalen Gassen, beschattet von den Sonnensegeln der belebten Geschäfte, in denen Waren angepriesen und um Preise gefeilscht wurde. Der Geruch nach Abfall mischte sich mit Essensdünsten und dem Duft der Essenzen, die in Räucherpfannen verbrannt wurden. Sie nahm ein Parfümfläschchen aus der Tasche und gab ein paar Tropfen auf die abaya , dorthin, wo sich ihre Nase befand. Mit revoltierendem Magen folgte sie Malik, der sich mit einer solchen Geschwindigkeit einen Weg durch die Menge bahnte, dass sie kaum hinterherkam. Es ging treppauf und treppab, dann um eine Ecke herum – der Markt schien gar kein Ende zu nehmen. Hin und wieder umklammerte ein Kind ihre Tunika und streckte ihr lächelnd die Hand entgegen. Ladenbesitzer stellten sich ihr in den Weg und nötigten sie so höflich zum Eintreten, dass Francesca es nicht wagte, zu widersprechen. Sie rief nach Malik, der daraufhin kehrtmachte und missmutig vor dem Eingang wartete. Es fiel ihr schwer, die Verkäufer abzuschütteln und weiterzugehen. Einer Frau, die hartnäckiger war als die anderen, musste sie ein Dutzend Rosen abkaufen, die zwar schon ein wenig verblüht waren, aber sie dufteten und würden ihr Zimmer zieren.
    »Das ist der beste Schmuckladen«, versicherte Malik, als sie die Gasse der Goldschmiede erreichten. »Gute Preise und gute Ware.« Dann lehnte er sich an einen Pfeiler, um zu warten.
    Die Auslagen funkelten in den Sonnenstrahlen, die durch die Löcher in der Markise fielen. Die Vielfalt an Schmuckstücken – aus Gold und aus Silber, mit eingelegten Edelsteinen, aus Onyx, bunte Emailarbeiten, Ketten aus roséfarbenen und grauen Perlen – verwirrte sie, und sie ging im Geist noch einmal Mauricios Vorgaben durch. Der Ladenbesitzer legte ihr händeweise Schmuckstücke vor, aber Francesca konnte sich für keines entscheiden. Ihr Blick fiel auf einen goldenen Anhänger mit Aquamarinen in einer höheren Auslage. Sie nahm ihn in die Hand und betrachtete ihn eingehend. Der Verkäufer machte sie ganz durcheinander, wie er so wortreich seine Waren anpries, während er mit den Händen fuchtelte und ihr immer wieder ein zahnloses Lächeln schenkte, so als hinge sein ganzes Glück von Francesca ab.
    Als sie sich streckte, um das Schmuckstück in die Auslage zurückzulegen, durchfuhr sie plötzlich ein stechender Schmerz, der von der Ferse bis zur Hüfte hinaufschoss, ihr die Sinne vernebelte und sie zu Boden sinken ließ. Die Tränen schossen ihr vor Schmerz in die Augen, und sie biss sich heftig auf die Lippen, um nicht zu schreien. Die wenigen Sonnenstrahlen verschwanden im Handumdrehen, als sie von einer Menschenmenge umringt wurde, die den Geruch ungewaschener Körper verbreitete. Sie versuchte nach Malik zu rufen, aber ihr Hals war trocken, und es kam nur ein unverständliches Krächzen heraus. Wo war Malik?, fragte sie sich verzweifelt, aber sie konnte ihn nicht in der Menge entdecken. ›Die Rosen …‹, dachte sie bedauernd, als sie sah, wie die Blumen zertrampelt wurden. Die Männer schrien und gestikulierten, aber keiner half ihr. Die stickige Luft und der Gestank

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