Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)
machten sie benommen, und der Schmerz im Bein wurde immer stärker.
Ein Araber, der die anderen übertönte, zerrte an ihrer abaya , packte sie am Arm und zwang sie aufzustehen. Aber Francesca konnte sich nicht auf den Beinen halten und fiel wieder hin. Jetzt weinte sie hemmungslos und rief laut nach Malik, während der Mann sie erneut hochzerren wollte und dabei einen Knüppel über ihrem Kopf schwang. Die Gesichter begannen sich zu drehen, das Atmen fiel ihr schwer, und sie hatte ein Gefühl im Magen, als ob sie sich übergeben müsse.
Plötzlich verstummten die Stimmen, die Menge wich zurück, und jemand hob sie mühelos vom Boden auf und hielt sie in seinen Armen. Sonnenlicht fiel auf das Gesicht ihres Helfers.
»Kamal … Gott sei Dank!«, stammelte sie auf Spanisch.
Sie umklammerte seinen Hals und lehnte sich mit geschlossenen Augen an seine Brust. Sie hörte Maliks Stimme, sie hörte Kamal auf Arabisch diskutieren und die Stimme des Mannes, der sie mit dem Knüppel bedroht hatte. Das Gemurmel der Verkäufer und Schaulustigen verstummte nicht.
»Bringen Sie mich bitte von hier weg!«, flehte sie, und Kamal gehorchte.
Als sie zum Wagen der Botschaft kamen, öffnete Malik rasch die Tür, und Kamal ließ sie auf den Sitz gleiten. Er herrschte den Chauffeur an, der sich eilig hinters Steuer setzte und losfuhr. Francesca richtete sich auf und beobachtete durch die Rückscheibe, wie der Prinz mit raschen Schritten zum Markt zurückging.
***
Nachdem der Arzt gegangen war, half Sara Francesca in einen Sessel und lagerte ihren Fuß auf einem Schemel. Der enge Verband drückte auf die entzündete Achillessehne, und ein schmerzhaftes Pochen zog sich das Bein hinauf bis zur Leistengegend. Sara reichte ihr ein Glas Wasser, und Francesca nahm das Schmerzmittel ein.
»Malik sagt, die Religionspolizei habe dich gezüchtigt, weil man deine halben Waden sehen konnte. Ich habe dir doch gesagt, du sollst nicht meine abaya nehmen, die ist zu klein für dich. Das hast du jetzt davon.«
»Komm mir nicht mit dieser abaya !«, brach es aus Francesca heraus. »Man sollte dieses ganze unzivilisierte Land in Brand setzen!«
»Pst! Sag das nicht mal im Scherz«, schimpfte die Algerierin. »Wenn das ein Saudi hört, dann bleibt es nicht bei ein bisschen Prügel! Man würde dich ohne Erbarmen steinigen. Sag so etwas nie wieder, solange du dich auf islamischem Boden befindest.«
Die Angst und die deutlichen Worte der sonst so ruhigen und besonnenen Sara machten sie sprachlos. Wie weit ging der Fanatismus dieses Volkes? Sie steinigen, weil sie schlecht über die Araber redete? Der traurige Blick hinter dem Fenster fiel ihr wieder ein und erfüllte sie mit Mitleid.
Mauricio klopfte an und kam herein. Wortlos stand er vor ihr, mit einem bedauernden Lächeln und flehendem Blick, als wollte er sie um Verzeihung bitten.
»Es tut mir so leid, was dir passiert ist«, sagte er schließlich. »Ich hätte dich nicht zum Bazar schicken sollen.«
»Ich muss mich entschuldigen. Es war unvernünftig von mir, Saras abaya zu benutzen. Ich hoffe, dieser Zwischenfall hat keine Konsequenzen.«
»Ich habe vor, mich zu beschweren«, versicherte Mauricio.
»Nein, bitte, lassen Sie es gut sein. Was würde eine Beschwerde bringen? Sie könnten Probleme bekommen, und das ist wirklich das Letzte, was ich will.«
»Wir werden sehen«, lenkte Mauricio ein und wechselte dann das Thema. »Dr. al-Zaki sagt, dass die Sehne entzündet ist.«
Es klopfte, und Sara öffnete rasch die Tür. Mit wutentbrannter Miene kam Kamal hereingestürmt, sein dunkles, finsteres Gesicht, dem sonst nur selten anzusehen war, was er dachte, verriet in diesem Moment deutlich, dass er bereit war, jeden, der sich ihm in den Weg stellte, in Stücke zu reißen. Francesca hielt seinem Blick stand. Sie würde nicht klein beigeben. Ein ungehobelter Araber würde nicht den Anstand und die Manieren zerstören, die sie von Geburt an mitbekommen hatte. Sie hätte ihm so richtig die Meinung gesagt, doch was dann kam, nahm ihr jeglichen Wind aus den Segeln: »Ich werde mich persönlich darum kümmern, dass der Religionswächter, der Ihnen das angetan hat, bestraft und entlassen wird, Mademoiselle. Ich gebe Ihnen mein Wort«, setzte er hinzu, die rechte Hand auf dem Herzen.
»Und ein Beduine hält immer Wort«, bemerkte der Botschafter mit einem Lächeln.
Francesca sah Kamal unverwandt an, ohne zu erröten. Sie war wie gebannt von seiner Stärke und der Männlichkeit, die er ausstrahlte.
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