Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)
als solchen in das Familienbuch eingetragen. Für die al-Sauds bin ich ein mahran .«
»Und dieser Mann«, fragte Francesca beeindruckt und deutete auf den Hausverwalter, »warum darf er hinein?«
»Sadun ist der Eunuch des Harems.«
Sie durchquerten den Garten und betraten ein stilles, dunkles Gebäude. Die Luft roch nach Vanille, ein süßlicher, betörender Duft, der zur Einrichtung passte. Francesca und Mauricio folgten Sadun schweigend durch ein Gewirr von Hallen und Gängen. Hinter einer reichgeschnitzten Tür befand sich ein Raum, der Francesca einen entzückten Ausruf entlockte. Er war kreisrund und von Dutzenden schlanker, glatter Säulen durchzogen, auf denen die Deckenkuppel ruhte. In der Mitte befand sich ein großes, himmelblau gefliestes Wasserbecken. Francesca trat näher und entdeckte auf dem Boden das Mosaik eines geflügelten weißen Pferdes im byzantinischen Stil.
Sadun sagte ein paar Worte auf Arabisch und ging dann hinaus. Francesca sah sich um. Ihr Blick blieb an der mit Stuckverzierungen überladenen Kuppel hängen, die in Rot-, Gold- und Blautönen gehalten waren. In der Mitte fielen Sonnenstrahlen durch buntes Glas und tauchten den Raum in irisierendes Licht. Mit Damast bezogene Diwane, Seidenkissen, Teppiche, kleine Tischchen und Ablagen vervollständigten die Einrichtung. Der Marmorboden und die Wandkacheln schimmerten in der dämmrigen Helligkeit.
»Du bist beeindruckt, nicht wahr?«, hörte sie Mauricio sagen. Als Francesca den traurigen Unterton bemerkte, der in seiner Stimme mitschwang, nickte sie nur, ohne sich größere Begeisterung anmerken zu lassen.
Dann erschien eine Frau in einem nilgrünen Gazegewand, das teilweise von ihrem langen schwarzen Haar bedeckt war, das ihr bis auf die Hüften fiel. Begleitet von Sadun, bewegte sie sich mit der Anmut einer Königin, und ein Strahlenkranz aus Licht schien sie zu umgeben. Mauricio eilte ihr entgegen und umarmte sie. Die Frau nahm sein Gesicht in beide Hände und küsste ihn auf die Stirn. Francesca hätte sie stundenlang ansehen können; ihre Bewegungen waren sanft und weiblich, und ihre Haltung drückte Selbstsicherheit und Stolz aus.
» Um Kamal «, sagte Mauricio, dem arabischen Brauch folgend, eine Frau als Mutter ihres Erstgeborenen zu benennen.
»Mein lieber Mauricio, was für eine große Freude, dich bei uns zu haben!«
Dubois wandte sich zu Francesca um und bat sie mit einer Handbewegung, näher zu kommen.
»Darf ich vorstellen: meine Mitarbeiterin Francesca de Gecco. Francesca, das ist Fadila, die Mutter von Prinz Kamal.«
Die Frau wandte sich in perfektem Französisch an sie und bewunderte ihre schönen schwarzen Augen und ihre weiße Haut. Eingeschüchtert von Fadilas durchdringendem Blick, in dem sie den Blick ihres Sohnes wiedererkannte, schaute Francesca zu Boden und stammelte ein Dankeschön. Stimmengewirr von der Tür kündigte eine Gruppe von Frauen und Mädchen an, die nun den Raum betraten.
»So viele Frauen hat Prinz Kamal?«, flüsterte Francesca Mauricio zu.
»Trotz seiner sechsunddreißig Jahre hat sich Kamal immer noch nicht für eine Frau entschieden, sehr zum Verdruss seiner Mutter. Was du dort siehst, sind seine Schwestern und Nichten. Genau genommen ist Fatima, die in dem orangefarbenen Kleid, seine einzige Schwester. Die Übrigen sind Halbschwestern und Nichten, aber er liebt sie alle gleich, und sie ihn.«
Francesca lächelte. Die Begrüßungen gingen weiter. Die Mädchen umarmten und küssten Mauricio und plapperten alle durcheinander. Die Jüngsten hängten sich an seinen Hals und durchsuchten seine Taschen. ›Sie wirken so glücklich‹, dachte Francesca, verzaubert von der Frische und Unschuld, die sie ausstrahlten. Plötzlich fühlte sie sich alt, und sie verspürte den starken Drang, das Kostüm, die Nylonstrümpfe und die Pumps auszuziehen, in das Wasserbecken einzutauchen und dann in eines der weiten, farbenfrohen Gewänder zu schlüpfen, wie sie diese Frauen trugen.
***
Man wies Francesca ein Zimmer im oberen Stock zu. Sie öffnete die Flügeltüren und trat auf den Balkon hinaus. Es war niemand zu sehen und zu hören. Müdigkeit breitete sich in ihrem Körper aus. Sie ging ins Schlafzimmer zurück, zog das Kostüm aus und legte sich in Unterwäsche aufs Bett. Sie träumte, sie würde in ebendiesem Zimmer aufwachen und, in einen zarten Nebel gehüllt, eine große, kräftige, weißgekleidete Gestalt erkennen, die sie unverwandt beobachtete. Die Gestalt raunte ihr etwas in einer
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