Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)
schob sie sanft in den Raum mit dem Wasserbecken, in dem mehrere Mädchen ein Bad nahmen. Kleine Kinder, Jungen und Mädchen, alle vollkommen nackt, rannten zwischen den Säulen umher. Sadun, der Eunuch, flocht Fatimas Haar und flüsterte leise mit ihr. Eine Frau stillte ihr Baby, während ein Mädchen ihr die Beine enthaarte.
Francesca verspürte den Impuls, wieder zu gehen, aber die Dienerin blieb in der Tür stehen und redete sanft auf Arabisch auf sie ein. Sie fasste sie beim Arm und führte sie zu einer Bank voller Kleider, Handtücher, Schmuck, Tiegel und Fläschchen. Niemand beachtete sie, so als ob sie gar nicht existierte oder eine von ihnen wäre. Der zarte Dunstschleier, der aus dem Becken aufstieg, wurde von Lichtstrahlen durchdrungen, die durch die Kuppel fielen, und verlieh der Szenerie etwas Unwirkliches. Die Frauen schienen sich nicht an Saduns Anwesenheit zu stören, der mittlerweile mit Fatima fertig war und einer Schwangeren den Bauch mit Öl massierte. Im Becken wuschen sich die Mädchen die Haare, seiften sich den Rücken ein oder standen etwas abseits auf der Treppe und schwatzten. Der Duft des Öls, der sich mit dem von Seife und Shampoo mischte, lag in der warmen Luft. Bronzefische entlang des Beckenrands spendeten frisches Wasser und verursachten ein eintöniges, einschläferndes Plätschern. Niemand hatte es eilig. Die Frauen plauderten oder ruhten auf dem warmen Boden, als hätten sie alle Zeit der Welt.
Francesca leistete keinen Widerstand, als zwei Dienerinnen sie entkleideten. Die Berührung dieser Hände auf ihrer Haut entspannte sie, und sie war wie hypnotisiert von der Stimme eines jungen Mädchens, das eine wohlklingende, getragene Melodie sang. Sie wurde zum Wasserbecken geführt und war nicht unangenehm berührt, als Sadun zu ihr kam, um mit ihr zu reden.
»Gehen Sie nur rein«, ermunterte sie der Eunuch in schlechtem Französisch. »Es ist schön warm.«
Sie stieg langsam ins Wasser und betrachtete dabei ihre Füße. In der Mitte des Beckens bemerkte sie erneut das geflügelte Pferd. Sie schloss die Augen und tauchte einige Sekunden unter. Beim Auftauchen – das Wasser rann ihr übers Gesicht, und ein kühler Lufthauch richtete ihre Brustwarzen auf – stellte sie fest, dass der Lärm aufgehört hatte und die Araberinnen sie aus großen schwarzen Augen ansahen. Die Mädchen, die sie entkleidet hatten, winkten sie zu den Treppenstufen. Eine widmete sich ihrem Haar, die andere rieb ihren Körper mit einem Naturschwamm ab. Hingebungsvoll ließ sie sich waschen, auch an den intimen Stellen, wobei die Mädchen ganz vorsichtig vorgingen. Blütenblätter schwammen auf der Wasseroberfläche, und der Dampf roch nach Rosen. Die Übrigen wandten sich wieder ihren Beschäftigungen zu und beachteten sie nicht länger. Sie wollte nicht nach Fadila fragen, war unfähig, die Lethargie zu überwinden, die sie einhüllte.
Die Mädchen zogen ihr eine Tunika und flache Sandalen an, umrandeten ihre Augen mit Kajal , schminkten ihre Lippen und rieben sie mit duftenden Ölen ein. Am Ende trocknete und flocht Sadun ihre Haare.
»Meine Herrin Fadila möchte Sie jetzt sehen, Mademoiselle«, sagte der Eunuch dann, während er ihr Gesicht mit einem dünnen Schleier bedeckte.
Sie betrat ein großes, lichtes Zimmer mit bunten Fliesen an den Wänden und Teppichen auf dem Boden. Am anderen Ende des Raumes ruhte Fadila auf einem Diwan und musterte sie von oben bis unten.
»Ich habe dich erwartet. Du bist wirklich sehr hübsch«, sagte sie, als sie ihr Gesicht entschleiert hatte. »Sadun, serviere uns das Frühstück, bitte.«
Die beiden Frauen nahmen am Fenster Platz, das nicht vergittert war, weil es auf den Innenhof des Harems hinausging. Der Eunuch stellte ein Tablett mit dem Teeservice auf ein rundes Tischchen.
»Tee, Kaffee oder Schokolade?«, bot er an.
Francesca entschied sich für Schokolade.
»Waren die Mädchen lästig?«
»O nein, Madame. Überhaupt nicht.«
»Ich habe sie gebeten, dich in Ruhe zu lassen, damit du das Bad genießen kannst. Sie waren ganz außer sich bei dem Gedanken, eine weiße Frau im Harem zu haben, und ich befürchtete, sie könnten dich mit Fragen löchern – vor allem meine Tochter Fatima ist ganz begierig darauf, etwas aus deiner Welt zu erfahren. Wie hast du dich gefühlt? Ich dachte, es könnte eine seltsame Vorstellung für dich sein, ein Bad zu nehmen, bevor du dich mit mir triffst. Für uns ist es eine Geste der Gastfreundschaft, musst du wissen.«
»Nun
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