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Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)

Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)

Titel: Was deine Augen sagen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florencia Bonelli
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ja, am Anfang war ich kurz davor, wieder zu gehen, vor allem, als ich Sadun sah.«
    »Ich verstehe. Ihr Christinnen habt eine ganz andere Vorstellung von Sittsamkeit als wir. Als ich ein kleines Mädchen war, verbrachte ein französischer Freund meines Vaters regelmäßig einige Wochen Ferien in unserem Lager. Seine beiden Töchter waren ungefähr in meinem Alter. Ich kam aus dem Staunen nicht heraus, als ich feststellte, dass die Mädchen, obwohl sie eine gute Erziehung erhielten, keine Ahnung von den grundlegendsten Dingen hatten. Sie wussten zum Beispiel nicht, dass sie irgendwann die Monatsblutung bekommen würden, und schon gar nicht, was ein Ehemann im Bett von ihnen erwartete. Als ich ihnen erzählte, was ich wusste, sahen sie mich aus großen Augen an und entgegneten, dass sie so etwas nie tun würden. Für uns ist alles, was mit dem Körper zu tun hat, ganz natürlich, und wir sprechen von klein auf mit unseren Müttern, Großmüttern und Tanten darüber. Weshalb habt ihr solche Scheu vor etwas, das letztendlich zu euch gehört und Teil eurer Natur ist?«
    Francesca antwortete nicht gleich, denn ehrlich gesagt hatte sie sich noch nie Gedanken darüber gemacht. Ihre Mutter zum Beispiel sprach nicht gern über das Thema; sie druckste herum, wurde rot und vermied es, sie dabei anzusehen. Die Ordensschwestern in der Schule sprachen immer nur von der unbefleckten Jungfräulichkeit Mariens, der Schlechtigkeit der Männer, die das Verderben der Frauen seien, und dass es ein Segen sei, Nonne zu werden. Die Beziehung zwischen Sofía und Nando hatte auch nicht viel Licht in ihre verklemmte Unwissenheit gebracht. Ob aus Scham oder Befangenheit hielt sich Sofía mehr mit den romantischen Details auf als mit den fleischlichen Einzelheiten der Leidenschaft, und Francesca hatte aus Höflichkeit nicht weiter nachgefragt. Nur eines wusste sie sicher: Es musste etwas Schönes sein, denn wenn Sofía von ihren Treffen mit Nando zurückkam, hatte sie still vor sich hin gelächelt, und ihre Augen hatten gestrahlt. Aber wenn sich Francesca ihr erstes Mal ausmalte, presste sie die Beine zusammen und schluckte mühsam.
    »Vermutlich hängt es mit unserer Religion zusammen«, sagte sie schließlich. »Im Katholizismus wird die Jungfräulichkeit Mariens verehrt, der Mutter Jesu Christi. Es ist, als hinge ihre Heiligkeit davon ab, dass sie Jungfrau ist.«
    »Aber sie hatte ein Kind«, wandte Fadila ein.
    »Ja, aber durch die Gnade des Heiligen Geistes ohne die Beteiligung eines Mannes. So bewahrte sie ihre Jungfräulichkeit.«
    »Und was denkst du über deinen Körper, Francesca?«
    »Das ist das erste Mal, Madame, dass jemand mit mir darüber reden will, ohne zu flüstern oder rot zu werden. Trotz meiner einundzwanzig Jahre weiß ich nicht viel über das Thema, das gebe ich zu. Aber da, wo ich herkomme, ist es nicht leicht, etwas darüber zu erfahren.« Sie lächelte, bevor sie hinzusetzte: »Ich habe mich noch nie so offen und frei unterhalten.«
    »Frei …«, wiederholte Fadila und verstummte. »Weder ihr westlichen Frauen noch wir Frauen im Orient haben es geschafft, wirklich frei zu sein. Die Jahrhunderte vergehen, und wir leben immer noch in der Sklaverei.«
    »Sagen Sie das, weil Sie in einem Harem leben?«
    »Nein, ganz und gar nicht. Ich spreche nicht von physischer Versklavung, denn auf die eine oder andere Weise sind alle Menschen räumlich eingeschränkt, und für uns Araberinnen ist der Harem unser Bereich, so wie es für dich dein Haus ist und für dein Land die Grenzen, die es umgeben. Für mich bedeutet Harem Familie. Er ist mein Zuhause, mein Heiligtum, der Ort, wo ich meine Kinder bekam und aufwachsen sah, der Ort, wo ich sehnsüchtig auf die Ankunft meines Mannes wartete und wo ich eines Tages, so Allah will, Kamals und Fatimas Kinder umherlaufen sehen werde. Lass dich nicht von den falschen Vorstellungen beeinflussen, die sich der Westen von dem Wort Harem macht und die immer mit Lust und Ausschweifungen zu tun haben. Hast du hier irgendwelche Ausschweifungen gesehen? Gab es etwas, das deine Moral oder deine Prinzipien verletzt hätte?«
    Francesca schüttelte den Kopf, auch wenn sie die Vorstellung der nackten Körper, die durch den Raum mit dem Wasserbecken gewandelt waren, nach wie vor verwirrte. »Hier sind wir frei wie nirgendwo sonst«, fuhr Fadila fort. »Das hier ist unsere Welt, hier haben wir das Sagen. Die Männer respektieren das und mischen sich nicht ein. Außerhalb dieser Wände aber sind wir nicht

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