Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)
frei, genauso wenig wie ihr.«
Sie schwiegen. Francesca, die sich in Wahrheit tausendmal freier fühlte als eine Araberin, wusste nicht, was sie sagen sollte. Fadila kam auf ein anderes Thema zu sprechen.
»Mauricio sagt, du seist eine hervorragende Mitarbeiterin, sehr intelligent und hochmotiviert.«
»Ich mag meine Arbeit sehr, Madame. Wenn ich mich tatsächlich gut dabei anstelle, dann liegt das vor allem daran, dass ich wirklich gern arbeite.«
»Darum geht es im Leben: glücklich zu sein. Es freut mich, dass du glücklich bist.«
Francesca wollte das Thema nicht weiter vertiefen, denn sie war weit entfernt davon, wirkliches Glück zu empfinden. Die Arbeit half ihr zwar über ihren Schmerz hinweg, aber das hatte nichts mit dem Glück zu tun, das sie vor einem Jahr in Aldos Armen empfunden hatte.
»Ich kenne Mauricio seit seinem achten Lebensjahr«, sprach die Frau weiter. »Es war kurz nach dem Unfall, bei dem seine Eltern ums Leben kamen. Und ich kann dir versichern, dass ich ihn noch nie so entspannt und glücklich gesehen habe.«
»Der Botschafter findet bei Ihnen die Familie, die er vor langer Zeit verloren hat«, sagte Francesca. »Bei Ihnen zu sein macht ihn glücklicher als alles andere.«
»Ja, das stimmt. Mauricio sieht in Kamal seinen Bruder und in meinem Mann und mir seine Eltern. Aber zur Zeit hat er ein Leuchten in den Augen, das ich vorher nicht von ihm kannte.«
Francesca wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie war froh, als Sadun erschien, um seine Herrin zum Gebet zu rufen.
***
Kamal machte es Spaß, seine Schwestern und Nichten zu verwöhnen, wenn sie bei ihm zu Gast waren. Den Vormittag verbrachte er auf dem Bazar von Dschidda, der moderner und vielseitiger war als der in Riad, um Kleider, Schmuck, Parfüm und Spielzeug zu kaufen. Ungewöhnlich gut aufgelegt, schlenderte er durch die Marktgassen, an Verkäufern, Waren und Frauen vorbei, getrieben von einer Energie, die er noch nie zuvor empfunden hatte. Nichts konnte seine Stimmung trüben. Besondere Sorgfalt verwendete er auf die Auswahl eines Reitkostüms, und er musste mehrere Blumenstände abklappern, um einen Strauß weiße Kamelien aufzutreiben. Seine Leibwächter folgten ihm auf dem Fuß, jeder mit einem Berg von Paketen beladen. Zurück auf dem Anwesen, half Sadun den Männern, und zu dritt schleppten sie die Geschenke ins Haus.
»Bringt sie in den Harem«, wies Kamal den Hausverwalter an, während er selbst nach einer Tüte und den Kamelien griff. »Und es wird nicht ausgepackt, bis ich da bin.«
»Dann sollten Sie besser gleich mitkommen, Herr, sonst finden Sie nur noch aufgerissene Schachteln und zerknittertes Papier vor.«
Er wurde mit freudigem Jubel empfangen, und dabei konnte er keinen Unterschied im Verhalten der erwachsenen Frauen und der jungen Mädchen feststellen: Sie liefen hinter ihm her und bettelten, ihnen zu verraten, welches Päckchen für sie sei.
»Meins zuerst!«, schmeichelten sie im Chor.
Kamal nahm seine Lieblingsnichte Yashira auf den Arm. Sie umschlang seinen Hals und küsste ihn auf die Wange.
»Hilf mir, die Geschenke zu verteilen, Yashira.«
»Zuerst das für Um Kamal «, schlug das Mädchen vor.
Fadila, die etwas abseits saß und einen Brief an ihre Schwester in Kairo schrieb, sah auf und schob ihre Brille auf die Nasenspitze.
»Komm her, Um Kamal «, rief Yashira, »komm dein Geschenk abholen.«
Kamal beobachtete amüsiert, wie sich die Frauen um die Kleider, Parfüms und Juwelen stritten. Doch obwohl er lächelte, legte sich ein dunkler Schatten auf sein Gemüt, wenn er daran dachte, was aus diesen Frauen, den Frauen seiner Familie, werden sollte, die so wenig von der Welt und den Problemen des Landes wussten, wenn die Seifenblase zerplatzte, in der sie lebten.
»Tante Fatima würde gern wissen, für wen das andere Päckchen und die Kamelien sind«, flüsterte Yashira.
»Wir dachten, die Blumen wären für Zora. Weil es doch ihre Lieblingsblumen sind …«, sprudelte es aus Fatima heraus.
»Bist du nicht zufrieden mit der Halskette, Zora?«, fragte Kamal und tat betrübt.
»Natürlich bin ich zufrieden. Sie ist wunderschön. Aber du kennst doch Fatima – sie will unbedingt aus dir herausbekommen, für wen der Strauß ist.«
»Für wen ist er, Onkel? Für mich?«, fragte Yashira.
»Ich könnte dich umbringen, Sadun«, sagte Kamal, und der Eunuch flüchtete sich hinter Fadila, die den Wortwechsel aufmerksam verfolgte.
»Tante Fatima sagt, er ist für das weiße Mädchen, das
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