Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)
heute Morgen mit uns im Bad gewesen ist«, bohrte Yashira nach und sah ihn neugierig an.
Kamal war ehrlich überrascht – seine Mutter hätte einer Fremden niemals einen solchen Beweis familiärer Vertrautheit gewährt –, und wurde für einen kurzen Moment von Erregung übermannt, als er sich Francesca nackt im Wasser vorstellte.
»Onkel Mauricio hat Onkel Kamal gebeten, die Blumen für Francesca zu besorgen«, versicherte Fadila der Kleinen und nahm sie ihrem Sohn aus dem Arm. »Oder?«
»Mauricio?«, fragte Kamal, sichtlich verwirrt.
Fadila warf ihm einen vielsagenden Blick zu, bevor sie sagte: »Wenn die Kamelie duften würde, wäre sie die perfekte Blume. Aber sie ist es nicht.«
***
An diesem Abend entschuldigte Sadun Prinz Kamal, da dieser mit seiner Mutter zu Abend esse. Francesca war erleichtert. Sie wollte ihm nicht begegnen, nachdem sie auf ihrem Bett ein wunderschönes Reitkostüm sowie einen Strauß Kamelien vorgefunden hatte mit einem Kärtchen, auf dem stand: »Morgen um vier Uhr möchte ich Sie darin sehen.« Er würde sie zum Reiten mitnehmen. Angeblich zählten die Pferde des Prinzen al-Saud zu den Besten der Welt. Sie dachte an Rex, und ihr fiel auf, dass sie schon lange nicht mehr an ihn gedacht hatte. Sie hatte das Pferd zum letzten Mal an jenem Nachmittag im Maisfeld geritten, während Aldos Fuchs ruhig neben ihr hergetrabt war. »Aldo …«, flüsterte sie. Sein Name gehörte der Vergangenheit an, seine Gesichtszüge verschwammen, und sie erinnerte sich nicht mehr an den Klang seiner Stimme. Es war unglaublich, aber mit der Zeit begannen ihre Erinnerungen zu verblassen.
Auch beim Frühstück am nächsten Morgen leistete der Prinz ihnen keine Gesellschaft, und der Hausverwalter teilte ihnen mit, dass Fadila und die Mädchen schon sehr früh nach Riad abgereist seien.
»Gibt es irgendwelche Probleme?«, fragte der Botschafter besorgt.
»Gestern Abend hatten die Herrin und der Herr Kamal einen Streit.«
Am späten Vormittag trafen Jacques Méchin, Le Bon und seine Tochter Valerie ein, sehr zur Enttäuschung von Francesca, die sicher war, dass Kamal das Eintreffen seiner Freunde zum Anlass nehmen würde, ihren Ausritt zu verschieben. Trotzdem zog sie um vier Uhr nachmittags die karierte Hose, die weiße Leinenbluse, die Stiefel und die Handschuhe aus Ziegenleder an.
Als sie fertig war, klopfte ein junger Bursche an ihrer Tür und bedeutete ihr mit einem Handzeichen, ihm zu folgen. Etwas abseits des Hauptgebäudes wirkte das Anwesen nicht mehr so gepflegt und prachtvoll. Geradeaus befand sich eine Koppel mit modernen Tränken, daneben eine Scheune mit Heuballen bis unters Dach und eine Sattelkammer für das Zaumzeug. Leute mit Werkzeugen oder Trensen in den Händen eilten schweigend hin und her, als hätten sie etwas Wichtiges zu tun. Die Pferde hatten glänzendes Fell und bewegten sich mit stolz zurückgeworfenen Köpfen und selbstsicheren Schritten.
Als sie Kamal in der Nähe der Stallungen entdeckte, begann ihr Herz zu rasen. Befangenheit, Angst, Unsicherheit, Sehnsucht … heftige, sich widersprechende Gefühle zwangen sie, am Eingang stehenzubleiben und abzuwarten. Kamal war in eine Unterhaltung mit Fadhil, dem Stallmeister, vertieft. Als er Francesca bemerkte, schickte er seinen Angestellten weg und kam auf sie zu. Sie war fasziniert von seinem Anblick: davon, wie gut seine Hose saß und wie elegant er in den Stiefeln mit den Sporen aussah, die auf den Bodenfliesen Funken schlugen. Er trug das Hemd über der muskulösen, unbehaarten Brust offen und auf dem Kopf den unvermeidlichen Turban.
»Wie ich sehe, habe ich mit der Größe des Kostüms und der Bluse richtig gelegen«, sagte er, nachdem er sie eine Weile betrachtet hatte.
»Die Sachen sind wunderschön«, versicherte Francesca, »aber Sie hätten sie mir nicht kaufen dürfen.«
»Und wie wollten Sie dann ausreiten?« Francesca errötete und warf ihm ein schüchternes Lächeln zu. »Sind die Stiefel bequem? Ist es die richtige Größe? Zugegeben, ich habe eine meiner Hausangestellten gebeten, mir einen Schuh von Ihnen zu besorgen, damit ich ihn auf den Markt mitnehmen kann. Er ist schon wieder zurück an seinem Platz.«
»Das habe ich gar nicht bemerkt«, erwiderte Francesca überrascht.
Der Prinz fasste sie am Arm und ging mit ihr durch die Stallungen, einem großen, weißgetünchten Backsteinbau mit Zinkdach. Innen führte ein langer Gang an den Boxen entlang, aus denen herrliche Pferde ihre Köpfe steckten. Es
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