Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)
entschuldigen lassen sollte. Doch dann entschied sie, sich gleichgültig und selbstbeherrscht zu geben, und ging nach unten. Obwohl bereits alle im Salon versammelt waren, hatte sie nur Augen für ihn. Er trug eine beigefarbene Hose zum weißen Hemd, sein Kopf war unbedeckt. Francesca hatte noch nicht oft sein dunkelbraunes, gelocktes Haar gesehen. ›Wie schön er ist!‹, dachte sie.
Méchin reichte ihr seinen Arm, um in den Speisesaal zu gehen. Mit seinem galanten Geplauder gelang es dem Franzosen, sie abzulenken und zu beruhigen. Mauricio sah sie irritiert an und warf Kamal hin und wieder fragende Blicke zu, die dieser mit gleichgültiger Miene erwiderte. Valerie war noch aufdringlicher und provokanter als sonst – so sehr, dass Professor Le Bon sich mehrmals räusperte und immer wieder auf die Einzelheiten ihres Aufenthalts in Jordanien zu sprechen kam. Valerie jedoch schienen die Ablenkungsversuche ihres Vaters nicht zu interessieren. Sie saß neben Kamal und streifte ihn immer wieder zufällig, legte ihre Hand auf seine und sah ihm tief in die Augen, wenn sich zufällig ihre Blicke trafen. Kamal aß und hörte zu, ohne auf Valeries Avancen zu achten. Wenn er Francescas Blick begegnete, sah er sie jedes Mal lange an, bis sie schließlich wegschaute.
»Jordanien ist ein so schönes Land!«, beteuerte Professor Le Bon zum wiederholten Mal.
»Jordanien ist eine Erfindung der Engländer.« Es war das erste Mal an diesem Abend, dass Kamal etwas sagte. »Eigentlich müsste es zu Saudi-Arabien gehören. Es ist ein Land ohne Geschichte, eine reine Kopfgeburt.«
»Aber König Hussein ist sehr stolz auf seine Familie und sein Königreich«, warf Gustave Le Bon ein.
»Das ist alles Lawrence zu verdanken, der es den Osmanen abnahm«, erklärte Méchin.
»Welchem Lawrence?«, fragte Militärattaché Barrenechea.
»Jacques spricht von Thomas Edward Lawrence«, schaltete sich Dubois ein, »besser bekannt als Lawrence von Arabien.«
»Es war schon immer die Politik der Engländer, Gebiete, an denen sie Interesse hatten, zu teilen«, bemerkte Francesca und erschrak, als sie feststellte, dass sie allein das Wort ergriffen hatte und alle Blicke auf ihr ruhten.
»Wie meinen Sie das?«, fragte Kamal interessiert.
»Es handelt sich wohl um das alte Sprichwort ›Teile und herrsche‹.«
»Ach, Francesca, ständig redest du über Politik«, beschwerte sich Valerie. »Kennst du kein unterhaltsameres Thema?«
»Worüber sollte ich denn reden?«, entgegnete sie bissig. »Über die neueste Pariser Mode oder die Frisur, die Fürstin Gracia beim letzten Rotkreuzball getragen hat?«
Es herrschte Schweigen, bis Le Bon nach einigen Sekunden sagte: »Du solltest dich mehr für Bildung und Wissen interessieren, so wie Francesca. Dann könnten wir während unserer ausgedehnten Reisen interessantere Gespräche führen, und ich würde mich nicht so langweilen.«
»Aber ich«, bemerkte Valerie spitz.
Nach dem Essen führte Méchin ein vertrauliches Gespräch mit Kamal.
»Du weißt, ich komme immer gleich auf den Punkt«, rief er Kamal in Erinnerung, nachdem die Tür zum Arbeitszimmer geschlossen war.
Kamal setzte sich und spielte mit seiner Perlenkette.
»Schieß los«, sagte er.
»Was hast du mit Mauricios Sekretärin vor?«
Kamal kannte Méchin, seit er denken konnte. Er war der beste Freund seines Vaters gewesen. Deshalb hatte Abdul Aziz ihn für die Zeit, die er im Ausland studiert hatte, zu seinem Vormund bestimmt. Kamal respektierte ihn, weil er trotz der Marotten, die er als typischer Pariser hatte, ein höflicher Mensch und ein kluger Kopf war. Und er liebte ihn, weil er wusste, dass Jacques Méchin in ihm den Sohn sah, den er nie gehabt hatte.
»Warum fragst du?«, erkundigte er sich gleichgültig und zündete sich eine Zigarette an.
»Kamal, niemand kennt dich so gut wie ich. Jedem anderen kannst du etwas vormachen, aber mir nicht.«
»Ich habe nicht die Absicht, jemandem etwas vorzumachen.«
»Komm mir nicht mit deinen Wortverdrehereien und deinem ausweichenden Schweigen. Ich habe die Blicke gesehen, die ihr beim Abendessen gewechselt habt. Sogar Valerie Le Bon hat es bemerkt. Ich weiß, dass du sie begehrst und sie erobern willst.« Kamal sah ihn an und rauchte dabei. »Ist dir klar, dass Mauricio in sie verliebt ist?«
»Hat er dir das gesagt?«
»Nein. Du weißt, dass er sehr zurückhaltend ist. Aber das würde selbst ein Blinder sehen. Er ist wie ausgewechselt, seit das Mädchen bei ihm ist.« Méchin
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