Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)
legte das Buch beiseite und stand auf. Es überraschte sie, wie nervös er war; das war nicht mehr der Mauricio Dubois von früher, der formvollendete Chef, den sie so bewundert hatte. Sie sprachen über die Arbeit, und als sie ein Resümee ihres Aufenthalts in Dschidda zogen, stellte der Botschafter fest, dass die Reise seine Erwartungen übertroffen hatte, was die Kontakte und die getroffenen Abkommen anging. Dann sprach er davon, dass sie bald zurückfahren müssten. Seit der Abreise aus Riad waren zehn Tage vergangen, und die Tagesgeschäfte machten seine Anwesenheit in der Botschaft erforderlich. In ein paar Tagen sollte es zurückgehen.
»In ein paar Tagen?«, fragte Kamal, als er hereinkam, und klopfte seinem Freund auf die Schulter. »Kommt gar nicht in Frage, Mauricio. Ich habe gerade Nachricht von meinem Großvater erhalten; er trifft in Kürze in der Ramses-Oase ein und möchte dich bestimmt sehen. Nach so vielen Jahren kannst du ihm das nicht abschlagen. Du kennst den Alten – er wäre enttäuscht, wenn du ihn nicht besuchen würdest.«
Der Botschafter brachte zaghafte Einwände hervor, doch Kamal ließ keines seiner Argumente gelten. Schließlich willigte Mauricio ein, in zwei Tagen zu der Oase aufzubrechen, wo der Stamm von Scheich al-Kassib sein Lager aufschlagen würde.
»Ich habe die Pferde satteln lassen«, sagte Kamal dann und schaute zu Francesca. »Ich möchte dir etwas zeigen.«
Francesca, die den ganzen Tag darauf gewartet hatte, einen Augenblick mit ihm allein zu sein, ging sich rasch umziehen und kehrte nach wenigen Minuten in den Salon zurück. Kamal trug bereits seine Reitkleidung und unterhielt sich mit Dubois und Méchin. Sie sprachen leise, und ihre Mienen sahen besorgt aus. Angestrengtes Lauschen war sinnlos, denn sie sprachen Arabisch. Würde sie jemals diese unverständliche Sprache mit den gutturalen Lauten und der unklaren Symbolik lernen?
»Schön, du bist schon fertig«, bemerkte Kamal erfreut. »Dann lass uns gehen.«
Als Francesca und Kamal hinausgegangen waren, wechselten Jacques und Mauricio einen vielsagenden Blick.
»Sie leben in einem Traum, aus dem sie bald erwachen werden«, stellte Méchin fest, und Dubois nickte.
»Wohin bringst du mich?«, fragte Francesca ungehalten, denn es war schon über eine Stunde vergangen, seit sie das Anwesen hinter sich gelassen hatten.
»Du wirst schon sehen«, sagte er, und dann, mit einem belustigten Blick: »Du bist ungeduldig, wie es sich für eine gute Westlerin gehört.«
Je weiter sie kamen, desto mehr mischte sich das Grün von Palmen mit dem Goldton der Wüste, und das Gelände begann sich zu wellen, zunächst ganz sanft, dann in immer höheren Dünen. Hin und wieder streifte ein kühler Windhauch die Pferde, die nun in leichten Trab verfielen, und verschaffte ihnen Erleichterung, denn es war glühend heiß.
Francesca sah sich um. Die Stille in dieser völligen Einsamkeit war überwältigend und die Wüste von beängstigender Schönheit. Aber an Kamals Seite hatte sie keine Angst. Mit ihm konnte ihr nichts geschehen, seine Sicherheit flößte ihr Vertrauen ein. Er ritt mit hocherhobenem Kopf, den Blick aufmerksam, fast lauernd, in die Ferne gerichtet; sein Gesicht war angespannt und die Kiefer fest aufeinandergepresst. An den Unterarmen, mit denen er die Zügel hielt, zeichneten sich die Muskeln ab. Hoch oben auf einer Düne hielten sie an und sahen das Rote Meer zu ihren Füßen liegen.
»Das ist das erste Mal, dass ich das Meer sehe«, gab Francesca zu.
»Los!« Kamal gab Pegasus die Sporen und sprengte zum Strand hinunter.
Sie galoppierten an der Brandung entlang, das Wasser spritzte zu ihnen hoch, und ihre Hemden blähten sich im Wind. Francesca lachte vor Glück laut auf, und Kamal sah sie bezaubert an. Später ließen sie Nelly und Pegasus verschnaufen. Kamal breitete eine Matte aus, auf die sie sich setzen konnten. Francesca zog die Stiefel aus, krempelte die Hose hoch und lief erneut zum Strand. Sie beobachtete das Kommen und Gehen der Wellen, ging mit den Füßen ins Wasser und wurde nass, als sie nach Muscheln suchte.
Kamal stützte sich auf die Ellenbogen, um sie zu beobachten. Francesca wirkte wie ein kleines Mädchen. Sie lachte und strahlte vor Glück. Er fand, dass sie schöner aussah denn je. Im Westen zeichneten sich die Felsen im schwachen Widerschein der Sonne ab. Kamal betrachtete den Himmel, der in außergewöhnlichen Rosa-, Violett- und Orangetönen leuchtete. Er schloss die Augen und
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