Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)
seinen eisernen Griff um sich spürte. Sie leistete heftigen Widerstand und versuchte, vom Pferd abzuspringen, das sich unter den brüsken Bewegungen aufbäumte und wütend schnaubte. Kamal bekam sie zu packen, bevor ihre Füße den Boden erreichten, während er den wild gewordenen Pegasus nur durch Schenkeldruck parierte.
»Halt still oder ich verpasse dir eine Tracht Prügel!«, drohte er.
Francesca drehte sich mit erhobener Hand zu ihm um, doch die ungezähmte Kraft, die aus den Augen des Arabers blitzte, ließ sie innehalten. Sie wagte es nicht einmal, ihn zu bitten, seinen Griff zu lockern. Stumm und reglos ertrug sie den bohrenden Schmerz in den Rippen, schluckte ihren Zorn hinunter und nahm die Demütigung hin, ihm unterlegen zu sein.
Kamal nahm Nelly am Zügel, die ein paar Meter weiter stehengeblieben war, und machte dann kehrt. Zunächst war er noch sehr aufgewühlt, doch dann beruhigte sich sein Puls, und er wurde ruhiger. Mit einer ungeschickten Bewegung zog er Francesca noch näher an sich heran und stellte erfreut fest, dass sie nachgab und ihren Rücken an seine Brust lehnte. Schweigend ritten sie zum Anwesen zurück, zu wütend zum Reden. Pegasus’ gleichmäßige Schritte und die warme Berührung ihrer Körper ließ sie in sanfte Lethargie verfallen.
Als sie ankamen, lockerte Kamal seinen Griff und half ihr vom Pferd.
»Schau mich an!«, befahl er ihr leise, während er sich aus dem Sattel hinunterbeugte und ihr Kinn anhob. »Glaub nicht, dass ich nach allem, was ich getan habe, um dich zu erobern, zulassen werde, dass ich dich wegen dieser aufdringlichen Valerie verliere. Wir reden später. Jetzt geh und ruh dich aus.«
Er gab seinem Pferd die Sporen und brachte Pegasus und Nelly zu den Stallungen.
***
Es klopfte an Francescas Zimmertür. Ihr Herz begann zu rasen. Sie öffnete. Es war Sadun. Der Herr Kamal lasse sie zu sich bitten. Sie kämmte sich zu Ende und ging dann hinunter, fest entschlossen, dieser absurden Situation ein Ende zu machen.
Der Hausverwalter führte sie ins Arbeitszimmer. Dort stand Kamal vor dem Schreibtisch und betrachtete einige Fotografien. Er sah Francesca nicht an und richtete auch nicht das Wort an sie, als wäre er allein und als hätte sie den Raum gar nicht betreten. Francesca blieb stehen und sah ihn an, besänftigt durch die gemessene Art und die ruhige Ausstrahlung des Arabers.
Kamal hatte ein Bad genommen und sich rasiert. Sein lockiges Haar war noch feucht, und der Duft von Moschus lag in der Luft. Was für ein seltsamer Mann, dachte sie. Er war unergründlich und rätselhaft, dabei war er gestern so anders gewesen, als er sie in seine Arme genommen und geküsst hatte.
Kamal ging ihr entgegen. Francesca wich zurück.
»Ich beiße nicht«, sagte er und hielt ihr dann die Fotografien hin.
Es waren Fotos von ihr und Marina beim Einkaufen in Genf, sie auf dem Weg zum Konsulat, sie auf dem Schiff über den Genfer See, sie neben dem Botschafter bei irgendeinem Cocktailempfang, sie vor dem Eingang ihres Hauses.
»Woher haben Sie die?«, fragte sie, und ihre Stimme versagte.
»Ich habe sie in Auftrag gegeben. Ich habe dich wochenlang beobachten lassen.«
Francesca sah ihn an und dann die Fotos, dann wieder von den Fotos zu ihm. Sie konnte nicht glauben, was sie sah und hörte.
»Dein vollständiger Name ist Francesca María de Gecco. Du bist am 19. Februar 1940 in Córdoba geboren. Dein Vater Vincenzo de Gecco starb, als du erst sechs Jahre alt warst, und deine Mutter Antonina d’Angelo musste eine Stelle als Hausangestellte bei einer reichen Familie annehmen, den Martínez Olazábals.«
»Warum?«, flüsterte Francesca. »Warum?«
»Weil ich dich eines Abends in Genf sah und nicht mehr ohne dich leben wollte. Ich wollte dich hier bei mir haben, in meiner Heimat, bei meinen Leuten, und habe dich herkommen lassen.«
Francesca schüttelte den Kopf und stammelte ein paar Worte in ihrer Muttersprache vor sich hin. Er war es gewesen. Die unerwartete Versetzung nach Riad war sein Werk. Bei dem Gedanken an die Frau des Botschafters musste sie lachen – ein Lachen, das sich mit Tränen der Angst und der Wut mischte. Kamal versuchte, sie zu berühren, doch sie stieß ihn angewidert zurück.
»Wagen Sie es nicht«, zischte sie. »Wofür zum Teufel halten Sie sich, dass Sie über mein Schicksal entscheiden, mich aus Genf wegholen und in dieses verfluchte Land voller unzivilisierter Wilder bringen? Weshalb? Wozu? Was habe ich Ihnen getan?«
Als Kamal erneut
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