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Was der Hund sah

Was der Hund sah

Titel: Was der Hund sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malcolm Gladwell
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wieder an den Tisch setzen und ein paar Stunden weiterarbeiten. Er war Anwalt und ein disziplinierter Mensch. »Mir war bald klar, wenn ich mein Schreibpensum nicht einhalte, dann fühle ich mich schrecklich. Also habe ich mein Schreibpensum eingehalten. Es war wie ein Job. Ich habe keine Zeit verschwendet.« In seiner ersten Geschichte beschrieb er einen Aktienhändler, der mit Insiderinformationen handelt. Für die sechzig Seiten benötigte er drei Monate. Nachdem er diese Geschichte abgeschlossen hatte, schrieb er eine neue, und danach noch eine.
    Im ersten Jahr verkaufte Fountain zwei Geschichten. Er wurde selbstbewusster und schrieb einen Roman. Doch er kam zu dem Schluss, dass sein Roman nichts taugte, und ließ ihn in der Schublade verschwinden. Es folgte seine »dunkle Phase«, wie er sie nennt. Er revidierte seine Erwartungen und fing von vorn an. Eine seiner Geschichten brachte er bei Harper’s unter. Ein New Yorker Literaturagent las sie und sprach ihn an. Er stellte eine Sammlung seiner Kurzgeschichten zusammen, die unter dem Titel Brief Encounters with Che Guevara veröffentlicht wurde. Die Kritiker überschlugen sich. Die Times Book Review beschrieb das Buch als »herzzerreißend«. Er gewann den Preis der Hemingway Foundation und landete auf einigen Bestsellerlisten. San Francisco Chronicle, Chicago Tribune und die Zeitschrift Kirkus Review lobten es als »eines der besten Bücher des Jahres«, und Kritiker verglichen ihn mit Graham Greene, Evelyn Waugh, Robert Stone und John le Carre.
    Ben Fountains Erfolgsgeschichte klingt vertraut: Der junge Mann vom Land erobert die Welt der Literatur im Sturm. Doch Ben Fountains Erfolg kam keineswegs über Nacht. Seinen Job bei Akin, Gump kündigte er 1988. Auf jede Geschichte, die er zu Beginn seiner Laufbahn veröffentlichte, kamen dreißig Absagen. Der unveröffentlichte Roman kostete ihn vier Jahre Arbeit. Die dunkle Phase zog sich durch die gesamte zweite Hälfte der neunziger Jahre hin. Seinen Durchbruch mit Brief Encounters hatte er im Jahr 2006, achtzehn Jahre nach dem Tag, an dem er sich zum ersten Mal zum Schreiben an seinen Küchentisch gesetzt hatte. Als der junge Mann vom Land die Welt der Literatur im Sturm eroberte, war er 48 Jahre alt.
2.
    Genie wird gemeinhin mit Frühreife gleichgesetzt. Wir denken gern, eine kreative Schöpfung erfordere die Frische, den Überschwang und die Energie der Jugend. Orson Welles zum Beispiel drehte sein Meisterwerk Citizen Kane schon im Alter von 25 Jahren. Herman Melville schrieb mit Ende zwanzig jedes Jahr ein Buch und erreichte seinen literarischen Höhepunkt mit 32, als er Moby Dick verfasste. Mozart komponierte sein bahnbrechendes Klavierkonzert Nr. 9 in E-Moll, als er erst 21 Jahre alt war.
    In einigen Kunstformen wie dem lyrischen Gedicht gilt die Frühreife sogar als ein ehernes Gesetz. Wie alt war T. S. Eliot, als er »The Love Song of J. Alfred Prufrock« schrieb? 23. »Dichter erreichen ihren schöpferischen Höhepunkt sehr früh«, behauptet Kreativitätsforscher James Kaufman. Mihaly Csikszentmihalyi, Autor des Bestsellers Flow, stimmt zu: »Die meisten lyrischen Gedichte werden von jungen Menschen geschrieben.« Harvard-Psychologe Howard Gardner, einer der führenden Kreativitätsexperten, ist überzeugt: »In der lyrischen Dichtung wird Talent früh entdeckt, es lodert hell auf und verglüht in jungen Jahren.«
    Vor einigen Jahren wollte der Wirtschaftswissenschaftler David Galenson von der University of Chicago herausfinden, ob diese Vorstellung der Kreativität der Wirklichkeit entspricht. Er sichtete 47 der bedeutendsten Lyrikanthologien, die seit 1980 veröffentlicht worden waren, und zählte die am häufigsten vertretenen Gedichte. Es lässt sich natürlich darüber streiten, ob die Häufigkeit der Veröffentlichung ein Maß für den literarischen Wert ist. Doch Galenson wollte lediglich eine Art Umfrage unter Literaturwissenschaftlern durchführen, welche Gedichte aus dem amerikanischen Kanon ihnen am wichtigsten erschienen. Die elf Bedeutendsten waren in dieser Reihenfolge: T. S. Eliots »Prufrock«, Robert Lowells »Skunk Hour«, Robert Frosts »Stopping by Woods on a Snowy Evening«, William Carlos Williams’ »Red Wheelbarrow«, Elizabeth Bishops »The Fish«, Ezra Pounds »The River Merchant’s Wife«, Sylvia Plaths »Daddy«, Pounds »In a Station of the Metro«, Frosts »Mending Wall«, Wallace Stevens’ »The Snow Man«, und Williams’ »The Dance«. Diese elf Gedichte wurden

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