Was der Hund sah
Rechtsverkehr umstellte, ging man davon aus, dass es zu einer Flut von Verkehrsunfällen kommen würde. Das Gegenteil war der Fall. Die Fahrer glichen die ungewohnte Situation aus, indem sie vorsichtiger fuhren. In den zwölf Monaten nach der Einführung des Rechtsverkehrs sank die Zahl der Todesfälle im Straßenverkehr um 17 Prozent und pendelte sich erst allmählich wieder auf dem ursprünglichen Niveau ein. Wilde schlägt deshalb augenzwinkernd vor, ein Land, das wirklich daran interessiert sei, seine Straßen und Autobahnen sicherer zu machen, solle regelmäßig zwischen Rechts- und Linksverkehr hin- und herwechseln.
Man braucht nicht viel Fantasie um abzusehen, wie sich der Risikoausgleich auf die NASA auswirkt. Richard Feynman, Physiknobelpreisesträger und Mitglied der Challenger-Kommission, beschrieb die Entscheidungsfindung der NASA als »russisches Roulette«. Als die Probleme mit den Dichtungsringen keine Konsequenzen hatten, schätzte die NASA deren Risiko bei den folgenden Flügen einfach geringer ein. »Wir können die Standards senken, weil beim letzten Mal nichts passiert ist«, so Feynman. Auch die Optimierung der Dichtungsringe ändert nichts an dieser Art des Risikoverhaltens. Die NASA kann sechs Bände mit riskanten Shuttle-Bauteilen füllen. Es ist gut vorstellbar, dass die verbesserten Dichtungsringe die NASA einfach dazu verleiten, an anderer Stelle russisch Roulette zu spielen.
Diese Vorstellung ist zwar deprimierend, aber nicht überraschend.
In Wahrheit hatten unsere Bekenntnisse zur Sicherheit und unsere Inszenierungen des Katastrophenrituals schon immer etwas Heuchlerisches. Wir wollen gar nicht in der sichersten aller Welten leben. Das Tempolimit von 55 Meilen pro Stunde hat in den letzten dreißig Jahren vermutlich mehr Leben gerettet als jede andere staatliche Maßnahme. Doch die Tatsache, dass der Kongress die Geschwindigkeitsbegrenzung im vergangenen Monat ohne lange Debatten aufhob, ist ein eindrucksvoller Beleg dafür, dass wir die jüngsten Sicherheitsfortschritte wie Sicherheitsgurte oder Airbags lieber aufzehren, statt sie zu nutzen. Das Gleiche gilt für die dramatischen Verbesserungen auf den Gebieten des Flugzeugdesigns und der Flugnavigation. Diese Entwicklungen hatten vermutlich den Zweck, die Unfallrate so weit wie möglich zu senken. Doch das wollen wir als Verbraucher gar nicht. Wir wollen billiger, pünktlicher und bequemer fliegen. Deshalb haben wir diese Fortschritte auf dem Gebiet der Sicherheit zum Teil wieder aufgezehrt, indem wir Starts und Landungen in kürzeren Abständen und bei schlechterem Wetter durchführen.
Unfälle wie die Explosion der Challenger sollten uns klar machen, dass wir eine Welt geschaffen haben, in der die Möglichkeit einer technologischen Katastrophe zum Alltag gehört. Irgendwann, und aus völlig nichtigen Gründen, wird wieder ein Spaceshuttle der NASA in Flammen aufgehen. Dies sollten wir uns zumindest eingestehen. Wenn uns diese Möglichkeit unerträglich erscheint, dann bleibt uns keine andere Wahl, als uns allmählich von Dingen wie der Weltraumfähre zu verabschieden.
23. Januar 1996
24.
Teil 3
Persönlichkeit, Charakter und Intelligenz
»›Er wird einen Zweireiher tragen. Zugeknöpft.‹
Und das tat er.«
Spätzünder
Müssen Genies immer Wunderkinder sein?
1.
Ben Fountain hatte nach seinem Jurastudium einige Jahre in der Immobilienabteilung von Akin, Gump, Strauss, Hauer & Feld in Dallas gearbeitet, als er beschloss, Schriftsteller zu werden. Das Einzige, was er bis dahin veröffentlicht hatte, war ein Artikel in einer Fachzeitschrift gewesen. Seine literarische Erfahrung beschränkte sich auf eine Handvoll Creative-Writing-Kurse an der Universität. Er hatte versucht, abends nach der Arbeit zu schreiben, doch wenn er nach Hause kam, war er meist zu müde. Also beschloss er, zu kündigen.
»Ich hatte große Angst«, erinnert sich Fountain. »Ich hatte das Gefühl, ich wäre von einer Klippe gesprungen und wüsste nicht, ob der Fallschirm aufgeht. Niemand will sein Leben vergeuden, und mir ist es als Anwalt gut gegangen. Ich hätte Karriere machen können. Und meine Eltern waren so stolz auf mich, vor allem mein Vater. Es war verrückt.«
An einem Montagmorgen im Februar begann er sein neues Leben. Um halb acht setzte er sich an den Küchentisch und stellte einen Plan auf. Jeden Tag wollte er bis zum Mittagessen schreiben. Dann wollte er sich zwanzig Minuten auf den Boden legen und entspannen. Danach wollte er sich
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