Was der Hund sah
geriet beinahe zur Katastrophe, weil Probleme in den Sauerstoff- und Wasserstofftanks zusammentrafen und eine defekte Kontrollleuchte verhinderte, dass die Astronauten das eigentliche Problem erkannten.
Hätte es sich um einen »wirklichen Unfall« gehandelt - wäre die Mission durch einen massiven Schaden oder kriminelles Fehlverhalten gefährdet gewesen -, dann wäre dieser Film nicht halb so faszinierend. Bei »wirklichen Unfällen« rennen Menschen schreiend herum und suchen nach Schuldigen - wie man das eben von typischen Katastrophenfilmen aus Hollywood erwartet. Was den Film Apollo 13 so angenehm abhebt, ist die Tatsache, dass nicht der Zorn, sondern die Verwirrung das vorherrschende Gefühl ist - Verwirrung darüber, dass aus einem derart nichtigen Grund derart viel schief gehen kann. Es gab keinen Schuldigen, keine finstere Intrige musste aufgedeckt werden, und es gab keine andere Möglichkeit, als das aus unerfindlichen Gründen ausgefallene System irgendwie zu ersetzen. Der normale Unfall war am Ende sehr viel erschreckender.
3.
War die Explosion der Challenger also ein normaler Unfall? Eigentlich nicht. Anders als beim Reaktorunfall von Three Mile Island wurde der Unfall nicht durch eine Verkettung unglücklicher Umstände, sondern durch einen einzigen katastrophalen Defekt ausgelöst: einem Versagen der Dichtungsringe, die verhindern sollten, dass heiße Gase aus den Raketen austraten. Doch nach Ansicht von Vaughan handelte es sich bei den defekten Dichtungsringen lediglich um ein Symptom. Die tatsächliche Unglücksursache sei die Kultur der NASA, die im Falle der Challenger eine Reihe von Entscheidungen traf, die dem Ablauf eines normalen Unfalls sehr nahe kommen.
Der Kern des Problems ist der Umgang der NASA mit dem Problem der Dichtungsringe. Es handelt sich um schmale Gummilippen zwischen den vier Segmenten der Rakete, die wie die Gummis auf einem Einmachglas dafür sorgen sollten, dass die Teile luftdicht aufeinandersaßen. Doch seit dem ersten Shuttleflug im Jahr 1981 hatten die Ringe zunehmend Probleme bereitet. Nach einigen Flügen wurde ein gefährlicher Verschleiß festgestellt, was darauf schließen ließ, dass es beinahe zu einem Austritt heißer Gase gekommen wäre. Außerdem ging man davon aus, dass die Dichtungen bei niedrigen Temperaturen weniger dicht schlossen, weil sich der Gummi verhärtete. Am Morgen des 28. Januar 1986 war die Startrampe vereist, beim Start lag die Temperatur knapp über dem Gefrierpunkt. Daher empfahlen die Ingenieure des Raketenherstellers Morton Thiokol eine Verschiebung des Starts. Die Manager von Morton Thiokol und die NASA-Führung schlugen diese Empfehlung jedoch in den Wind, eine Entscheidung, die Kritiker und die Untersuchungskommission später als fahrlässiges, wenn nicht gar kriminelles Fehlurteil bezeichnen sollten.
Vaughan behauptet nicht, dass diese Entscheidung korrekt war. Doch in ihrer Analyse von Tausenden Seiten von internen Dokumenten und Protokollen konnte sie keinen Hinweis auf ein fahrlässiges Fehlverhalten finden, oder darauf, dass die NASA aus politischen oder pragmatischen Gründen bewusst ein Sicherheitsrisiko in Kauf genommen hätte. Die Fehler der NASA seien vielmehr im normalen Betriebsablauf zustande gekommen. Rückblickend scheint es auf der Hand zu liegen, dass die niedrigen Temperaturen das Funktionieren der Dichtungsringe beeinträchtigten. Damals war dies jedoch keineswegs offensichtlich. Bei einem früheren Flug, bei dem die Dichtungsringe stark beschädigt worden waren, hatten Außentemperaturen von 24 Grad Celsius geherrscht. Bei anderen Gelegenheiten, als die NASA Starts bei 5 Grad Celsius angesetzt hatte, nur um sie dann aus anderen Gründen zu verschieben, hatten die Ingenieure von Morton Thiokol mit keinem Wort eine mögliche Gefahr für die Dichtungsringe angedeutet, weshalb die NASA den Hinweis vor dem Start der Challenger nicht ernst nahm. Vaughan bestätigt, dass es am Vorabend des Starts zu einer Diskussion zwischen Ingenieuren und Management kam, doch sie weist darauf hin, dass solche Diskussionen vor Shuttlestarts normal waren. Und obwohl sich der Untersuchungskommission erstaunt zeigte, wie häufig die NASA bei internen Diskussionen von »akzeptablem Risiko« und »akzeptablem Verschleiß« sprach, zeigt Vaughan, dass es zur Kultur der NASA gehörte, mit »akzeptablem Risiko« zu starten. Die Liste der akzeptablen Risiken füllt ganze sechs Bände. »Der Verschleiß der Dichtungsringe wurde zwar nicht
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