Was der Hund sah
ein fröhliches Gesicht zu machen. ›Wie sieht das Gesicht von So-und-so aus? Und jetzt überlegt, was euch traurig macht. Schaut euch an, wie sich das Gesicht verändert hat!‹ Damit haben sie ihre Lektion vermittelt und können die Kinder üben lassen. Aber das hier führt nirgendwohin.« »Was ändert sich an meinem Gesicht?«, fragt die Lehrerin zum gefühlten hundertsten Mal. Ein Junge lehnt sich nach vorn und versucht, sich einzubringen, wie kleine Kinder das tun. Er sieht sie an. »Setz dich richtig hin!«, ruft sie.
Während Pianta ein Video nach dem anderen vorführt, wird ein Muster erkennbar. In einem Diktat las eine Lehrerin einen Satz nach dem anderen vor, der sich auf ihr eigenes Leben bezog: »Am Wochenende war ich zu einer Hochzeit eingeladen.« Damit verpasste sie eine Gelegenheit, ihre Schüler einzubinden. Eine andere Lehrerin wollte eine Powerpoint-Präsentation vorführen und stellte fest, dass der Computer nicht eingeschaltet war. Während sie wartete, dass das Gerät hochfuhr, versank das Klassenzimmer im Chaos.
Und dann war da der Superstar, ein junger Mathematiklehrer einer High School in Jeans und grünem Polohemd. »Also«, sagte er und stellte sich an die Tafel. »Besondere rechtwinklige Dreiecke. Wir üben erst mal ein bisschen damit.« Er zeichnete zwei Dreiecke. »Ermittelt die Länge der Seiten, wenn ihr könnt. Wenn nicht, schauen wir es uns gemeinsam an.« Er sprach und bewegte sich schnell, was eigentlich eher schlecht ist, so Pianta, weil es sich um komplizierte Materie handelt. Doch mit seiner Energie schien er die Klasse anzustecken. Und immer wieder bot er Hilfestellungen an: Wenn ihr es nicht allein könnt, machen wir es zusammen. In einer Ecke saß ein Junge namens Ben, der offenbar einige Stunden gefehlt hatte. »Schauen wir mal, an was du dich noch erinnerst, Ben«, sagte der Lehrer. Ben war verwirrt. Der Lehrer stellte sich neben ihn und sagte: »Ich helfe dir« und machte ihm einen Vorschlag: »Wie wär’s damit?« Ben machte sich an die Arbeit. Der Lehrer ging zu Bens Nachbarin und sah ihr über die Schulter. »Sehr gut!« Dann ging er zum nächsten und so weiter. Nach zweieinhalb Minuten - so lange braucht eine schlechte Lehrkraft, um den Computer einzuschalten - hatte er die Frage formuliert, mit fast alle Schülern der Klasse kommuniziert und stand schon wieder an der Tafel, um die Lektion fortzusetzen.
»Der Unterricht läuft oft so: Der Lehrer steht an der Tafel, unterrichtet frontal, und hat keine Ahnung, wer ihn versteht und wer nicht«, sagt Pianta. »Aber er hier gibt individuelles Feedback.« Pianta und sein Team schauen andächtig zu.
5.
Bildungsreformen beginnen oft mit dem Ruf nach einer Verbesserung der Lehre und einer höheren fachlichen und kognitiven Anforderungen an die Lehrer. Doch wenn man sich Piantas Videos ansieht und sich klar macht, wie komplex der Unterricht ist, staunt man plötzlich über diese starke Gewichtung akademischer Qualifikationen. Die Lehrerin mit dem Alphabetbuch war empfänglich für die Bedürfnisse der Kinder und wusste, dass das Gezappel zweier Mädchen die übrigen Kinder nicht störte. Der Mathematiklehrer verstand es, in zweieinhalb Minuten bei allen Kindern vorbeizuschauen und jedem das Gefühl zu vermitteln, dass er oder sie seine persönliche Aufmerksamkeit erhielt. Das waren keine fachlichen Qualifikationen.
Die Wirtschaftswissenschaftler Thomas J. Keane und Douglas Staiger sowie der Politologe Robert Gordon untersuchten, inwieweit sich eine pädagogische Zusatzausbildung oder ein weiterführender akademischer Abschluss auf die Qualität der Lehre auswirkten. Beide Abschlüsse kosten viel Zeit und Geld, und die meisten Schulbezirke setzen mindestens einen der beiden voraus. Keiner hat auch nur die geringsten Auswirkungen auf die Leistung im Klassenzimmer. So viel Testergebnisse, Magisterabschlüsse und Zertifikate über die Qualifikationen auszusagen scheinen, sie garantieren den Erfolg genauso wenig wie die Fähigkeit eines Quarterback, einen Ball in einen Mülleimer zu werfen.
Bildungsforscher Jacob Kounin beschäftigte sich mit der Frage, wie Lehrer mit Unterrichtsstörungen umgehen. In einem Fall »lehnt sich Mary nach rechts und flüstert ihrer Nachbarin Jane etwas zu. Die beiden kichern. Die Lehrerin sagte: ›Mary und Jane, hört auf damit!‹« Doch die Art und Weise, wie die Lehrerin die Schülerinnen zur Ordnung ruft - ihre Stimme, ihre Haltung, ihre Wortwahl -, schien keinerlei Einfluss auf die Ordnung
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