Was der Hund sah
nahm auf den Presserängen platz. Von hier aus sahen die Spieler aus wie Schachfiguren auf dem Spielbrett.
Die Tigers hatten Anstoß. Chase Daniel stand gute sieben Meter hinter der Angriffslinie. Vor ihm warteten fünf Receiver auf sein Zuspiel, zwei links und drei rechts, die quer über das Feld verteilt waren. Auch seine Verteidiger standen weit auseinandergezogen. Ein ums andere Mal fing Daniel den Ball des Center und warf einen raschen Diagonalpass auf einen seiner fünf Receiver.
Die Angriffsformation der Tigers nennt sich Spread, und die meisten Quarterbacks des Collegefootball - die Spieler, die schließlich von die Profimannschaften rekrutiert werden - haben sich auf diese Formation spezialisiert. Durch die weit gefächerte Aufstellung seiner eigenen Angreifer hat der Quarterback einen guten Blick auf die gegnerische Verteidigungslinie und kann deren Strategie leicht erkennen. Noch ehe sich irgendjemand bewegt, kann er entscheiden, wohin er den Ball wirft. Daniel hatte diese Formation schon in der Schule gespielt und beherrschte sie im Schlaf. »Schauen Sie, wie schnell er den Ball abspielt«, sagte Shonka. »Sie können kaum bis drei zählen, da hat er schon gepasst. Er weiß genau, wohin er spielen muss. Bei dieser Aufstellung kann sich die Verteidigung nicht verstecken. Chase weiß sofort, was der Gegner vorhat. Das System erleichtert dem Quarterback die Entscheidung.«
Doch das machte Shonkas Entscheidung keinen Deut leichter. Es war immer schwer gewesen vorzusagen, wie sich ein College-Quarterback in einer Profimannschaft schlagen würde. Das Spiel der Profis war schneller und komplizierter. Mit der Einführung des Spread unterschieden sich College- und Profi-Football aber auch strategisch. Die Profimannschaften spielen den Spread nicht. Er funktioniert nicht. Die Verteidiger sind zu schnell, sie würden durch die Lücken in der Angriffsformation stürmen und den Quarterback ummähen. In der Profiliga stehen die Stürmer enger zusammen. Daniel hätte nicht fünf Receiver, sondern nur drei oder vier. Er hätte nicht den Luxus, sich breitbeinig sieben Meter hinter dem Center aufzustellen und von vorneherein zu wissen, wohin er zu passen hat. Er würde hinter dem Center kauern, den Ball direkt abnehmen, ein paar Schritte rückwärts laufen und erst dann abspielen. Die gegnerischen Verteidiger wären nicht sieben Meter entfernt, sondern von Anfang an um ihn herum. Ihre Aufstellung wäre nicht mehr erkennbar, denn das Feld wäre weniger weit auseinandergezogen. Daniel wäre nicht mehr in der Lage, noch vor dem Zuspiel durch den Center ihre Absichten zu erkennen, sondern er müsste sich orientieren, wenn der Ball bereits wieder im Spiel ist.
»Beim Spread stehen viele Angreifer frei«, erklärte Shonka. »Aber in der Profiliga steht kaum jemand so ungedeckt. Und wenn man beim Abspiel die Verteidiger nicht täuscht, haben sie den Ball abgefangen. In der Profiliga haben die Gegenspieler ungeheure athletische Fähigkeiten.«
Während Shonka das Geschehen kommentierte, dirigierte Daniel den Angriff seiner Mannschaft. Dabei warf er fast ausschließlich seine schnellen, diagonalen Pässe. Aber in der Profiliga war mehr gefragt, auch weite Vorwärtspässe über die gegnerischen Verteidiger hinweg. War er dazu in der Lage? Das konnte Shonka nicht sagen. Das war auch eine Frage der Größe. In einer Spreadformation waren 1,83 Meter ausreichend, denn die großen Lücken in der Angriffslinie gaben ihm zahlreiche Abspielmöglichkeiten und freie Sicht. Aber in der Profiliga gab es keine Lücken, und die anstürmenden Verteidiger waren 1,98 Meter groß, und nicht 1,85 Meter.
»Hat er den Überblick?«, fragte Shonka. »Ist er in dieser neuen Angriffsformation produktiv? Kann er damit umgehen? Ich würde gern sehen, was er macht, wenn er die Verteidigung nicht sieht. Oder wenn die Verteidiger um ihn herum sind. Oder wie er einen Pass über fünfzehn, zwanzig Meter wirft.«
Die Beurteilung der anderen Stars der Tigers fiel ihm leichter. Auch sie müssten sich beim Wechsel von einer College- in eine Profimannschaft umstellen, doch der Unterschied war eher gering. Sie hatten im Collegefootball Erfolg, weil sie stark, schnell und gut waren, und das würden sie in die Profimannschaft mitnehmen.
Ein Quarterback, der vom Collegefootball in die NFL kommt, muss sich jedoch auf ein vollkommen neues Spiel einstellen. Shonka erzählte mir von Tim Couch, der im Jahr 1999 vom College in den Profisport wechselte. In seiner Zeit an
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