Was der Hund sah
der Lehrkraft, Schüler auf ihre Weise am Unterricht teilnehmen zu lassen. Pianta spult das Band zweimal zurück, bis deutlich wird, was die Lehrerin erreicht hatte: Die Kinder waren aktiv, ohne dass der Unterricht in Chaos ausartete.
»Eine schlechtere Lehrerin hätte die Mädchen für ihr Verhalten zurechtgewiesen«, fährt Pianta fort. »›Das geht jetzt nicht. Setz dich hin.‹ Sie hätte diese Unruhe abgestellt.«
Piantas Kollegin Bridget Hamre schließt sich an: »Das sind Drei- und Vierjährige. In diesem Alter zeigen Kinder ihr Interesse anders. Sie beugen sich vor und zappeln. Als gute Lehrerin interpretiert man das nicht als Störung. Es ist schwer, Lehrern diese neue Vorstellung nahezubringen, denn sie meinen, wenn sie die Schülerperspektive einnehmen, verlieren sie die Kontrolle über den Unterricht.«
Das Video läuft weiter und Pianta zeigt, wie sich die Lehrerin auf die Kinder einstellt. »B wie Bär« führt zu einem Gespräch darüber, welches der Kinder schon einmal in einem Zoo war. »Fast immer, wenn ein Kind irgendetwas sagt, geht sie darauf ein«, hebt Hamre hervor. »Das meinen wir mit Sensibilität für die Bedürfnisse der Kinder.«
Die Lehrerin fragt, ob der Name eines der Kinder mit B begann. »Bert!«, sagt ein Junge namens Bert. Die Lehrerin nickt. »Genau. Bert fängt mit B an.« Ein kleines Mädchen in der Mitte ruft: »Ich!« Die Lehrerin wendet sich ihr zu. »Du heißt Vanessa. Das ist der Buchstabe V. Vanessa.«
Das ist ein entscheidender Moment. Von allen Unterrichtselementen hängt das Feedback - die direkte, persönliche Reaktion auf die Aussage eines Kindes - am unmittelbarsten mit dem schulischen Erfolg zusammen. Die Lehrerin hört nicht nur das »Ich« aus dem Gezappel der Kinder heraus, sondern sie spricht es direkt an.
»Das ist kein besonders gutes Feedback«, meint Hamre. »Gutes Feedback regt einen Austausch an, der zu einem tieferen Verständnis führt.« Besser wäre es gewesen, wenn die Lehrerin zum Buchstaben V vorgeblättert und den Buchstaben V gezeigt hätte, und wenn sie die Gruppe beide Buchstaben hätte sagen lassen. Dass sie es nicht tat, lag vielleicht daran, dass es ihr nicht einfiel, oder dass sie vom Gezappel der beiden Mädchen zu ihrer Rechten abgelenkt war.
»Aber sie hätte das Mädchen auch einfach ignorieren können. Das passiert auch oft«, fährt Hamre fort. »Oder Lehrer sagen einfach ›falsch‹. Diese Ja-Nein-Reaktion ist die vorherrschende Form des Feedbacks und bietet so gut wie keine Lerninformation.«
Pianta zeigt ein zweite Aufnahme einer fast identischen Situation: Ein Kreis von Vorschulkindern um eine Lehrerin. Thema der Einheit sind Gefühle, und es geht darum, woran man erkennt, ob jemand froh oder traurig ist. Die Lehrerin spielt eine kurze Szene zwischen zwei Handpuppen, Henrietta und Twiggle, vor. Twiggle ist traurig, bis Henrietta ihm ein Stück von ihrer Wassermelone abgibt.
»Die Lehrerin will vermitteln, dass man am Gesicht ablesen kann, ob jemand froh oder traurig ist«, erklärt Hamre. »In dem Alter sagen viele Kinder, man könne das erkennen, weil ihm das oder jenes passiert ist. Ihr Hund ist gestorben, und deshalb ist sie traurig. Sie verstehen das Prinzip der Mimik noch nicht.«
Die Lehrerin beginnt: »Erinnert ihr euch, wie wir Gesichter gemalt haben?« Sie zeigt auf ihre Augen und ihren Mund. »Wenn jemand fröhlich ist, dann sagt uns das sein Gesicht. Und die Augen.« Die Kinder schauen sie verständnislos an. Die Lehrerin macht weiter: »Schaut her, schaut her!« Sie lächelt breit. »Das ist froh! Woran erkennt ihr, dass ich froh bin? Schaut mein Gesicht an. Was ändert sich an meinem Gesicht? Nein, nein, schaut mir ins Gesicht ... Nein ...«
Ein kleines Mädchen neben ihr sagt: »Augen!« und bietet der Lehrerin eine Möglichkeit, eines der Kinder mit einzubeziehen und die Lektion zu verlängern. Doch die Lehrerin nimmt das Kind nicht wahr. Wieder fragt sie: »Was ändert sich an meinem Gesicht?« Sie lächelt und dann runzelt sie die Stirn, als könnte sie die Kinder allein durch die Wiederholung erreichen. Pianta hält das Video an. Eines der Probleme ist, dass Henrietta Twiggle froh machte, indem sie ihm ein Stück von ihrer Wassermelone abgab - aber genau darum ging es in dieser Lektion ja nicht.
»Es wäre besser gewesen, den Lernprozess um die Kinder herum zu gestalten«, erklärte Pianta. »Sie könnte fragen: ›Was macht euch froh?‹ und Antworten sammeln. Dann könnte sie die Kinder auffordern,
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