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Was der Hund sah

Was der Hund sah

Titel: Was der Hund sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malcolm Gladwell
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um sieben Uhr morgens rein und um neun Uhr abends raus. Die haben sich die Klinke in die Hand gegeben.« Während der ersten fünfzehn Minuten jedes Gesprächs erzählte er den Interessenten von Tellme - die Strategie, die Ziele, das Geschäft. Dann gab er jedem eine kurze Programmieraufgabe. Den Rest des einstündigen Gesprächs über stellte Partovi Fragen. Er erinnert sich, dass Myers die Programmieraufgabe gut löste, und nach dreißig oder vierzig Minuten war er überzeugt, dass Myers »aus dem richtigen Zeug gemacht war«, wie er sich ausdrückt. Partovis Gespräch mit Myers war sogar noch kürzer als meines. Auch er sprach nicht mit Myers Familie und erlebte ihn weder begeistert, zornig noch traurig. Er wusste, dass Myers im Sommer zuvor ein Praktikum bei Microsoft gemacht hatte und demnächst sein Studium an einer Universität der Ivy League abschließen würde.
    Doch fast alle, die von Unternehmen wie Tellme angestellt werden, haben an Eliteuniversitäten studiert, und Microsoft bietet jeden Sommer sechshundert Praktikumsplätze an. Partovi konnte nicht einmal sagen, was genau ihm an Myers gefallen hatte. Er mochte ihn einfach. »Das war ein Bauchgefühl«, sagte er.
    Ähnlich ging es auch Steve Ballmer, dem CEO von Microsoft. Anfang des Jahres hatte Myers an einem Treffen für ehemalige Microsoft- Praktikanten teilgenommen. Ballmer hielt dort einen Vortrag, und danach hob Myers die Hand. »Er hat vor allem darüber gesprochen, das Unternehmen in eine bestimmte Richtung aufzustellen«, erzählte mir Myers. »Ich habe ihn gefragt, ob er sich damit nicht die Möglichkeit verbaut, auch auf andere Entwicklungen zu setzen, oder ob sich Microsoft auch noch andere Türen offenhalten würde.« Danach kam einer der Personalreferenten von Microsoft auf ihn zu und sagte: »Steve will deine E-Mail-Adresse.« Myers gab sie ihm, und bald meldete sich Ballmer per E-Mail. Ballmer wollte offenbar, dass Myers bei Microsoft anfing. »Er hat sogar Nachforschungen über mich angestellt«, erzählt Myers. »Er hat gewusst, bei wem ich mich vorgestellt hatte, und er hat ein paar persönliche Sachen gewusst. In einer E-Mail hat er mir geschrieben, er würde sich freuen, wenn ich bei Microsoft anfangen würde, und wenn ich Fragen hätte, sollte ich mich einfach an ihn wenden. Also habe ich ihm eine Antwort geschickt und mich bedankt. Nach meinem Besuch bei Tellme habe ich ihm geschrieben, dass ich mich für Tellme interessiere, aus den und den Gründen, aber ich hatte mich noch nicht entschieden. Wenn er wollte, dann würde ich mich gern mit ihm unterhalten. Ich habe ihm meine Nummer geschickt. Also hat er mich angerufen, und wir haben uns unterhalten - über Aufstiegsmöglichkeiten, welchen Einfluss Microsoft auf meine Karriere hätte, und was er von Tellme hält. Ich war total beeindruckt, und er war offenbar wirklich an mir interessiert.«
    Was brachte Ballmer zu dem Schluss, dass er Myers bei Microsoft wollte? Ein Blick! Er hatte eine Momentaufnahme von Nolan Myers in Aktion gesehen, und schon rief der CEO eines 400-Milliarden-Dollar-Konzerns den Studenten in seinem Wohnheim an. Ballmer wusste irgendwie, dass ihm Myers gefiel, genau wie Hadi Partovi und genau wie ich nach unserem kurzen Gespräch im Au Bon Pain. Aber was genau wussten wir? Was konnten wir überhaupt wissen? Im Grunde hatte keiner von uns eine Ahnung, wer Nolan Myers wirklich war.
    Die New Economy wiederholt mantrahaft, dass der Erfolg eines Unternehmens von den Menschen abhängt, die für es arbeiten. Bei vielen Technologieunternehmen ziehen die Mitarbeiter beinahe ins Büro und arbeiten dort unter derart intimen Bedingungen, wie es vor einer Generation vollkommen undenkbar gewesen wäre. Die Einrichtungsgegenstände eines typischen Büros im Silicon Valley - Videospiele, Espressobar, Feldbetten und Basketballkörbe - erinnern eher an ein Fitnessstudio als an einen Arbeitsplatz. Ins Fitnessstudio gehen wir nur mit unseren Freunden. Aber woher wissen wir, wer unsere Freunde sind? Heute suchen Personalreferenten das ganze Land nach interessanten Lebensläufen ab. Sie analysieren Arbeitsbiografien und die Mitarbeiter ihrer Konkurrenten. Sie holen Empfehlungen ein und tun dann nichts anderes als das, was ich mit Nolan Myers getan habe: Sie setzen sich mit einem wildfremden Menschen anderthalb Stunden an einen Tisch und versuchen, Rückschlüsse auf dessen Intelligenz und Persönlichkeit zu ziehen. Das Vorstellungsgespräch ist eine der zentralen Gepflogenheiten der

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