Was der Hund sah
CNBC läuft. Nicht fehlen dürfen zwei antike Gipsköpfe, einer neben Talebs Computer und ein zweiter neben der Tür auf dem Fußboden, der aussieht, als solle er mit dem Müll rausgetragen werden. Die Wände sind fast kahl, abgesehen von einem zerfledderten Poster für eine griechische Kunstausstellung, dem Foto des Mullah und einem Tuscheporträt des Schutzpatrons von Empirica Capitals, Karl Popper.
An einem Morgen im vergangenen Frühjahr rangen die Mitarbeiter von Empirica mit einem haarigen Problem, das mit der Wurzel von n zusammenhing, wobei n gleich der Zahl einer zufälligen Menge von Beobachtungen war; die Frage lautete, welchen Einfluss n auf den Optimismus von Spekulanten hatte. Taleb stand neben der Tür und kritzelte mit einem quietschenden Marker hastig mögliche Lösungen an eine Tafel. Spitznagel und Pallop sahen aufmerksam zu. Spitznagel ist blond, kommt aus dem Mittleren Westen der Vereinigten Staaten und treibt Yoga. Im Gegensatz zu Taleb wirkt er ruhig und ausgeglichen. In einer Kneipe würde Taleb einen Streit anzetteln, und Spitznagel würde ihn schlichten. Pallop stammt von thailändischen Eltern ab und promoviert in Princeton zum Thema Finanzmathematik. Er hat längere, schwarze Haare und blickt ein wenig fragend drein. »Pallop ist faul«, bemerkte Taleb mehrmals im Laufe des Tages, ohne irgendjemanden direkt anzusprechen, wobei er diesen Vorwurf mit solcher Zärtlichkeit aussprach, dass man meinen könne, Faulheit sei in Talebs Welt gleichbedeutend mit Genialität. Pallop rührte so gut wie nie seinen Computer an, er hatte seinen Stuhl oft umgedreht und blickte zum Fenster hinaus. Er las ein Buch der Kognitionspsychologen Amos Tversky und Daniel Kahneman, doch er war ein wenig enttäuscht von ihren Ausführungen, da sie »nicht quantifizierbar« seien.
Die drei diskutierten hin und her. Taleb schien mit seiner Lösung falsch zu liegen, doch ehe die Frage entschieden werden konnte, eröffneten die Märkte. Taleb kehrte an seinen Schreibtisch zurück und begann, sich mit Spitznagel darüber zu streiten, welche Musik er auflegen sollte. Spitznagel spielt Klavier und Horn und hatte sich zum DJ von Empirica aufgeschwungen. Er wollte eine Mahler-CD einlegen, doch Taleb konnte Mahler nicht ausstehen. »Mahler ist schlecht für die Volatilität!«, klagte er. »Bach ist gut. Die Matthäus-Passion!« Taleb zeigte auf Spitznagel, der einen grauen Wollrolli trug. »Schauen Sie sich ihn an. Er meint, er ist Karajan und technisch versierter als alle anderen. Kein Smalltalk. Spitzenskifahrer. Das ist Mark!« Während Spitznagel noch die Augen rollte, kam ein Mann ins Büro, den Taleb aus unerfindlichen Gründen Dr. Wu nennt. Dr. Wu arbeitet für einen anderen Hedgefonds im gleichen Gebäude und gilt als genial. Er ist dünn und schielt durch eine Brille mit schwarzem Gestell. Auf die Frage, was er von n hielt, verweigerte er jede Antwort. »Dr. Wu kommt, um sich Bücher auszuleihen und sich mit Mark über Musik zu unterhalten«, erklärte mir Taleb, nachdem der Besucher wieder verschwunden war. »Er ist Mahlerfan«, fügte er finster hinzu.
Empirica verfolgt eine ganz eigene Investmentstrategie. Das Unter - nehmen handelt mit Optionsscheinen, das heißt, nicht mit Aktien und Wertpapieren, sondern mit Wetten auf Aktien und Wertpapiere. Stellen Sie sich vor, die Aktie von General Motors steht bei 50 Dollar, und Sie sind ein Investor an der Wall Street. Ein Optionshändler macht Ihnen folgendes Angebot. Was würden Sie davon halten, wenn er Ihnen in drei Monaten eine GM-Aktie für 45 Dollar verkaufen würde? Wie viel würden Sie verlangen, um sie ihm für diesen Preis abzukaufen? Natürlich würde der Händler Sie nur zwingen, die Aktie für 45 Dollar zu kaufen, wenn sie unter diesen Wert fällt, aber bei einem Blick in die Geschichte der GM-Aktie würden Sie feststellen, dass sie selten in einem Zeitraum von drei Monaten um 10 Prozent gefallen ist. Also schlagen Sie ein und stimmen zu, ihm gegen eine verhältnismäßig geringe Gebühr von beispielsweise 10 Cent die Option zu verkaufen. Der Händler setzt dagegen auf die relativ geringe Wahrscheinlichkeit, dass die GM-Aktien deutlich fallen; dann nämlich hätte er einen großen Gewinn erzielt. Wenn der Händler eine Million Optionsscheine zu einem Preis von zehn Cent von Ihnen er - wirbt und die GM-Aktie auf 35 Dollar fällt, dann kauft er eine Million Aktien zu 35 Dollar und zwingt Sie, ihm diese für 45 Dollar abzukaufen; auf diese Weise würde er
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