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Was der Hund sah

Was der Hund sah

Titel: Was der Hund sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malcolm Gladwell
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deutlich reicher und Sie deutlich ärmer.
    Im Slang der Wall Street nennt sich diese Transaktion eine Aus- dem-Geld-Option. Doch es gibt eine ganze Reihe von Möglichkeiten, eine Option zu konfigurieren. Sie könnten dem Händler eine Option für 30 Dollar verkaufen, oder, wenn Sie darauf setzen, dass die GM- Aktie steigt, könnten Sie die Option für 60 Dollar verkaufen. Sie können auch auf Renten, den Dow Jones, Währungskurse, Hypotheken und jedes andere Finanzinstrument wetten; Sie können darauf setzen, dass der Markt boomt, dass er zusammenbricht oder unverändert bleibt. Optionen erlauben den Investoren, wild zu spekulieren und aus einem Dollar zehn zu machen. Doch sie erlauben ihnen auch, ihre Risiken in Grenzen zu halten. Vielleicht stürzt Ihr Rentenfonds in der nächsten Krise nur deshalb nicht in den Ruin, weil er sich abgesichert und Optionen gekauft hat. Hinter dem Spiel mit den Optionen steht die Vorstellung, dass sich das Wettrisiko quantifizieren lässt: Eine Analyse der vergangenen Entwicklung der GM-Aktie lässt Rückschlüsse darauf zu, mit welcher Wahrscheinlichkeit GM in den kommenden drei Monaten auf 45 Dollar fällt, und ob eine Option zu einem Preis von 1 Dollar eine gute oder schlechte Investition ist. Dieses Verfahren ähnelt dem der Lebensversicherer, die über die Auswertung von Bevölkerungsstatistiken die Monatsbeiträge ermitteln. Für diese Berechnungen hat jede Investment-Bank ein Team von promovierten Physikern, Mathematikern und Programmierern aus Russland, China und Indien. An der Wall Street werden diese Spezialisten als »Quanten« bezeichnet.
    Nassim Taleb und sein Team von Empirica sind solche Quanten. Doch sie fallen aus dem Rahmen, denn sie glauben nicht daran, dass sich der Aktienmarkt nach physikalischen Gesetzmäßigkeiten verhält. Physische Ereignisse, seien es Sterberaten oder Pokerspiele, sind das vorhersehbare Ergebnis einer begrenzten und festen Anzahl von Faktoren und folgen dem, was Statistiker eine »Normalverteilung« nennen, also einer Glockenkurve. Doch ergeben die Ausschläge des Marktes eine Glockenkurve? Wenn sie sich an die Normalverteilung halten würden, so ermittelte der Wirtschaftswissenschaftler Eugene Fama, dann dürften große Kurssprünge (in der Größenordnung von fünf Standardabweichungen vom Mittel) nur alle siebentausend Jahre einmal vorkommen. In Wirklichkeit sind Kurssprünge in dieser Größenordnung alle drei bis vier Jahre zu beobachten, was daran liegt, dass sich Investoren nicht an statistische Gesetze halten. Sie ändern ihre Meinung, begehen Dummheiten, ahmen einander nach und geraten in Panik. Famas Grafik der Ausschläge des Aktienmarktes ist keine Glockenkurve, sondern sie hat ein »dickes Ende«, das heißt, am oberen und unteren Ende gibt es weit mehr Ausreißer als die Statistiker mit ihren physikalischen Modellen vorgesehen hatten.
    Im Sommer 1997 sagte Taleb vorher, dass große Probleme auf Hedgefonds wie Long Term Capital Management (LTCM) zukamen, weil sie die Sache mit dem dicken Ende nicht verstanden. Ein Jahr später verkaufte LTCM eine ungewöhnlich große Zahl von Optionen, weil die Computermodelle des Fonds eine Marktberuhigung vorhergesagt hatten. Doch dann stellte die russische Regierung die Rückzahlung ihrer Staatsanleihen ein, die Märkte spielten verrückt, und innerhalb weniger Wochen war LTCM am Ende. Spitznagel, Talebs Chefhändler, berichtete, er habe unlängst den Vortrag eines LTCM- Managers gehört, in dem dieser die Spekulationen des Fonds verteidigte: »Er hat gesagt: ›Abends auf dem Nachhauseweg sehe ich überall die Blätter unter den Bäumen liegen. Sie fallen nach statistischen Gesetzmäßigkeiten herunter, und ich kann ihre Verteilung ziemlich exakt vorhersehen. Aber als ich neulich nach Hause gekommen bin, da waren die Blätter ordentlich zu Haufen zusammengerecht. Widerlegt das meine statistische Theorie darüber, wie Blätter vom Baum fallen? Nein. Es handelte sich um ein von Menschen gemachtes Ereignis.‹« Mit anderen Worten, als die russische Regierung die Zahlung ihrer Auslandsschulden einstellte, verstieß sie gegen die Regeln - ein vollkommen unerhörter Vorgang. Doch genau darauf wollte Taleb hinaus: Anders als die physische Welt können Märkte die Spielregeln jederzeit ändern. Zentralbanken können beschließen, Staatsanleihen nicht zurückzuzahlen.
    Einer von Talebs ersten Mentoren an der Wall Street war ein ungeduldiger Franzose namens Jean-Patrice, der sich wie ein Pfau kleidete

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