Was der Hund sah
das Progesteron in oralen Verhütungsmitteln die Freisetzung neuer Eizellen verhindert, verringert sie die Zahl der Zellteilungen im Eierstock. Progesteron blockiert die Östrogenschübe in der Gebärmutterschleimhaut und reduziert auch dort die Zahl der Zellteilungen. Eine Frau, die zehn Jahre lang die Pille nimmt, reduziert die Wahrscheinlichkeit eines Eierstockkrebses um 70 und eines Gebärmutterkrebses um 60 Prozent. Doch »natürlich« bedeutet hier etwas anderes als das, was Rock damit meinte. Er bezeichnete die Pille als natürlich, weil sie eine Variante eines körpereigenen Prozesses darstellte. Doch neueste Forschungen ergeben, dass die Pille nur dann natürlich ist, wenn sie radikal ist - wenn sie Eierstock und Gebärmutter vor den Folgen des modernen Zeitalters schützt. Dass Rock auf einem 28-tägigen Zyklus beharrte, ist Ausdruck seines umfassenden Missverständnisses: Die eigentliche Verheißung der Pille war nicht, dass sie den Menstruationsrhythmus des 20. Jahrhunderts aufrecht erhielt, sondern dass sie in der Lage war, ihn zu durchbrechen.
Heute wendet sich eine zunehmende Zahl von Spezialisten gegen den 28-Tage-Rhythmus der Pille. Das Pharmaunternehmen Organon hat mit Mircette ein orales Verhütungsmittel auf den Markt gebracht, das die sieben Tage Placebo auf zwei reduziert. Patricia Sulak, Humanbiologin der Texas A&M University hat gezeigt, dass Frauen vermutlich zwischen sechs und zwölf Wochen lang ununterbrochen die Pille nehmen können, ehe Durchbruchsblutungen einsetzen. Unlängst dokumentierte Sulak, welche Kosten die allmonatliche Pause der Pille mit sich bringt. In einem Aufsatz in der Fachzeitschrift Obstetrics and Gynecology zeigten sie und ihre Kollegen etwas, das die wenigsten Konsumentinnen der Pille überraschen dürfte: Während der Placebowoche klagen dreimal so viele Frauen über Unterleibsschmerzen und -schwellungen, doppelt so viele über Schmerzempfindlichkeit in der Brust und 50 Prozent mehr über Kopfschmerzen. Mit anderen Worten erleben die Frauen, die die Pille einnehmen, dieselben Nebeneffekte, die mit der normalen Menstruation einhergehen. Sulaks Aufsatz ist eine kurze, trockene und wissenschaftliche Arbeit und nur für ein Fachpublikum bestimmt. Doch es ist unmöglich, ihn zu lesen, ohne sich darüber zu wundern, welche Konsequenzen John Rocks Bedürfnis hatte, seine Kirche zufriedenzustellen. In den vergangenen vierzig Jahren haben Frauen in aller Welt eine Pille eingenommen, die ihnen ein Höchstmaß an Schmerz und Leid verursachte. Und wozu? Um so zu tun, als sei die Pille nicht mehr als eine pharmazeutische Variante der Kalendermethode?
3.
In den Jahren 1980 und 1981 unternahm Malcolm Pike, Medizinstatistiker an der University of South California, eine sechsmonatige Forschungsreise nach Japan, um dort für die Kommission der Atombombenopfer zu arbeiten. Er wollte die medizinischen Akten der Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki analysieren, die die Kommission zusammengestellt hatte. Er ging der Frage nach, die unser Verständnis der Pille in demselben Maße verkomplizierte wie die Arbeit Strassmanns ein Jahrzehnt später: Warum liegt die Brustkrebsrate japanischer Frauen um 85 Prozent niedriger als die amerikanischer Frauen?
Ende der vierziger Jahre begann die Weltgesundheitsorganisation WHO mit der Sammlung und Veröffentlichung von vergleichenden Gesundheitsstatistiken aus aller Welt, und dieser Unterschied der Brustkrebsrate in Japan und den Vereinigten Staaten ließ Krebsspezialisten keine Ruhe. Die naheliegende Antwort - dass japanische Frauen genetisch vor Brustkrebs geschützt sind - schied aus, da japanische Frauen, die in die Vereinigten Staaten ausgewandert waren, fast genauso häufig an Brustkrebs erkrankten wie amerikanische Frauen. Daher nahmen Experten an, der Grund könne eine bislang unbekannte giftige Chemikalie oder ein Virus sein, der nur im Westen vorkomme. Pikes Kollege Brian Henderson berichtet, als er 1970 seine Laufbahn aufnahm, »war die Idee en vogue, dass Krebs durch Viren oder Chemikalien verursacht würde - die ganze Literatur war voll davon«. Er erinnert sich: »Brustkrebs fiel in diesen großen, unbekannten Bereich, von dem es hieß, er habe irgendwas mit der Umwelt zu tun. Umwelt bedeutete damals für jeden etwas anderes, damit konnte Ernährung genauso gemeint sein wie Rauchen oder Insektenvernichtungsmittel.«
Henderson und Pike beschäftigten sich mit einer Reihe statistischer Auffälligkeiten. Zum einen nahm das
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