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Was der Hund sah

Was der Hund sah

Titel: Was der Hund sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malcolm Gladwell
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der Frauen beobachten, die das Medikament einnehmen, auch wenn wir ein bisschen Östrogen zugeben, um die Nebenwirkungen auszuschalten. Also haben wir eine Untersuchung durchgeführt und gewaltige Veränderungen festgestellt.« Pike holt einen Aufsatz hervor, den er mit Spicer im Journal of the National Cancer Institute veröffentlicht hat. Der Artikel enthält Röntgenaufnahmen von drei jungen Frauen. »Das sind die Mammografien vor der Behandlung«, sagt er. In der grobkörnigen schwarzen Silhouette der Brüste befinden sich große, weiße Bereiche, die nach Ansicht von Pike und Spicer auf erhöhte Zellteilung hinweisen, die das Brustkrebsrisiko erhöht. Daneben sind die Röntgenaufnahmen der drei Frauen nach einem Jahr der GnRHA-Behandlung abgebildet. Die weißen Bereiche sind fast vollständig verschwunden. »Daraus schließen wir, dass wir die Aktivität in der Brust angehalten haben«, fährt Pike fort. »Weiß steht für große Zellvermehrung. Wir bremsen die Brust.«
    Pike steht vom Tisch auf, geht an eine Tafel hinter ihm und schreibt rasch ein paar Zahlen. »Nehmen wir an, eine Frau hat ihre erste Regel mit fünfzehn und die Menopause mit fünfzig. Das heißt, die Brust wird 35 Jahre lang stimuliert. Wenn Sie diesen Zeitraum halbieren, dann wird das Risiko nicht nur halbiert, sondern es sinkt um 95 Prozent.« Er verwendet ein statistisches Modell, das er zur Ermittlung des Brustkrebsrisikos entwickelt hat. »Es bleibt ein Risiko. Es bleibt immer ein Risiko. Aber wenn Sie das Medikament zehn Jahre lang einnehmen, sinkt das Brustkrebsrisiko mindestens um die Hälfte. Wenn Sie es fünf Jahre einnehmen, verringert es sich um ein Drittel. Es ist, als wäre Ihre Brust fünf oder zehn Jahre jünger.« Das Mittel trage außerdem zur Verringerung des Risikos von Eierstockkrebs bei.
    Es klingt, als hätte Pike seinen kleinen Vortrag schon oft gehalten, vor Kollegen, vor Freunden, und vor Investoren. Er weiß inzwischen, wie seltsam und unglaublich sich anhört, was er da sagt. Hier steht dieser Mann in einer kalten, hässlichen Garage in einem Industriepark von Santa Monica und behauptet, er könne das Leben von Hunderttausenden Frauen in aller Welt retten. Und zwar, indem er junge Frauen jeden Morgen ein Medikament inhalieren lässt, dass sie in die Menopause versetzt. Es ist eine mutige Idee. Kann er die Hormone so dosieren, dass die Frauen ausreichend davon bekommen, um gesund zu bleiben, aber nicht so viel, dass sie krank werden? Spielt Progesteron wirklich eine so entscheidende Rolle beim Brustkrebs? Viele Krebsspezialisten sind in diesem Punkt nach wie vor skeptisch. Und vor allem, was würden die Frauen denken?
    John Rock hatte sich größte Mühe gegeben, die Pille so zu gestalten, dass sie den am wenigsten radikalen Eingriff darstellte. Sie war das Verhütungsmittel der Natur und ließ sich unauffällig in einer Handtasche unterbringen. Pike will dagegen mit dem vierzig Jahre alten Mythos von der Natürlichkeit der Pille aufräumen. »Viele Frauen werden sich denken, dass sie manipuliert werden sollen. Und das ist vollkommen verständlich«, räumt er ein. »Doch die moderne Lebensweise stellt eine außergewöhnliche Veränderung in der weiblichen Biologie dar. Frauen werden heute Anwältinnen, Ärztinnen und Präsidentinnen. Sie müssen verstehen, dass das, was sie tun, nichts Unnormales ist. Es ist genauso normal wie das Leben einer Frau vor Hunderten von Jahren, die mit siebzehn ihre erste Menstruation hatte, fünf Kinder bekam und dreihundert Menstruationszyklen weniger hatte als die Frauen von heute. Die Welt ist heute eine andere. Und einige der Risiken, die damit einhergehen, dass Frauen heute eine Ausbildung bekommen und nicht schwanger werden, sind Brustkrebs und Eierstockkrebs. Damit müssen wir irgendwie umgehen. Ich habe drei Töchter. Die älteste hat ihr erstes Kind mit 31 bekommen. So sind Frauen heute. Sie haben mit zwölf oder dreizehn den ersten Eisprung und mit dreißig ihr erstes Kind. Sie ovulieren zwanzig Jahre lang ununterbrochen, ehe sie das erste Kind bekommen. Das ist ein vollkommen neues Phänomen!«
5.
    Mit seiner Kampagne für seine Form der Geburtenkontrolle zwang John Rock die Katholische Kirche zu einer Reaktion. Im Frühjahr 1963, kurz nach der Veröffentlichung seines Buchs, fand im Vatikan ein Treffen zwischen hochrangigen Vertretern der Katholischen Kirche und Donald B. Strauss, dem Vorsitzenden von Planned Parenthood statt. Dieser Begegnung folgte eine weitere auf dem

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