Was der Hund sah
Brustkrebsrisiko zwischen dem dreißigsten und vierzigsten Lebensjahr erheblich zu, um dann mit der Menopause wieder zurückzugehen. Wenn der Krebs von einem Gift ausgelöst würde, dann müsste die Quote Jahr für Jahr größer werden, da die Zahl der Mutationen und genetischen Fehler stetig zunimmt. Es sah vielmehr so aus, als würde der Brustkrebs von irgendetwas ausgelöst, das mit der Reproduktionsfähigkeit der Frau zusammenhing. Dazu kam, dass jüngere Frauen nach Entfernung des Ovariums erheblich seltener an Brustkrebs erkrankten; wenn ihr Körper kein Östrogen oder Progesteron erzeugte, hatten sie weniger Tumore. Pike und Henderson gelangten zu der Überzeugung, dass Brustkrebs mit einem Prozess der Zellteilung zusammenhing, ähnlich wie Eierstock- und Gebärmutterkrebs. Die weibliche Brust reagiert schließlich genauso sensibel auf das Hormonniveau im weiblichen Körper wie die Reproduktionsorgane. Wenn die Brust Östrogen ausgesetzt ist, kommt es in der Milchdrüse, wo der Krebs zumeist auftritt, zu einem Schub an Zellteilungen. Und in der zweiten Hälfte des Menstruationszyklus, wenn die Ovarien große Mengen Progesteron freisetzen, verdoppelt sich die Geschwindigkeit der Zellteilungen in dieser Region.
Es leuchtete daher spontan ein, dass das Brustkrebsrisiko damit korrelierte, welcher Menge an Östrogen und Progesteron die Brust über die Dauer eines Lebens ausgesetzt war. Das Alter einer Frau bei der ersten Regelblutung spielte also eine entscheidende Rolle, da der weibliche Körper zu Beginn der Pubertät mit Hormonen regelrecht überflutet wird, und die Brustzellen bei Jugendlichen besonders anfällig für Fehler sind, die schließlich zu Krebs führen. (Aus etwas komplizierteren Gründen bewirkt auch die Geburt von Kindern einen Schutz vor Brustkrebs, möglicherweise weil die Brustzellen in den letzten beiden Trimestern der Schwangerschaft reifer und resistenter gegen Mutationen werden.) Auch das Alter einer Frau zu Beginn der Menopause spielt eine Rolle, genau wie die tatsächlich in den Ovarien produzierte Menge an Östrogen und Progesteron. Sogar das Gewicht der Frau nach der Menopause ist ein Faktor, da Fettzellen andere Hormone in Östrogen umwandeln.
Pike reiste nach Hiroshima, um der Zellteilungstheorie nachzugehen. Mit seinen Kollegen vom medizinischen Archiv untersuchte er zunächst, in welchem Alter Japanerinnen ihre erste Periode bekommen. Eine japanische Frau, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts zur Welt kam, hatte ihre erste Periode im Alter von 16,5 Jahren. Amerikanische Frauen derselben Generation hatten ihre erste Periode dagegen schon im Alter von vierzehn Jahren. Allein dieser Unterschied erklärte 40 Prozent des Unterschieds zwischen den amerikanischen und japanischen Brustkrebsquoten. »Wir hatten ganz erstaunliche Daten zur Verfügung«, erzählt Pike. »Wir konnten über das ganze Jahrhundert hinweg die Veränderungen beim Eintritt in die Pubertät genau verfolgen. Sogar die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs ließen sich gut erkennen. Wegen der schlechten Ernährungslage und anderer Probleme haben japanische Mädchen ihre erste Regelblutung später bekommen. Nach dem Krieg ist das Alter wieder gesunken. Das hat mich überzeugt, dass uns ganz ausgezeichnete Daten vorlagen.«
Pike, Henderson und ihre Kollegen bezogen weitere Risikofaktoren mit ein. Die Unterschiede beim Eintrittsalter der Menopause, dem Zeitpunkt der ersten Schwangerschaft und der Anzahl der Kinder waren nicht ausreichend groß, um als Erklärungen in Frage zu kommen. Beim Gewicht gab es jedoch deutliche Unterschiede. Japanische Frauen wogen nach der Menopause im Durchschnitt 45 Kilogramm, amerikanische Frauen dagegen 65 Kilogramm. Diese Tatsache war für weitere 25 Prozent des Unterschieds verantwortlich. Schließlich ergaben Blutuntersuchungen bei Frauen in der japanischen und chinesischen Provinz, dass deren Ovarien ein Viertel weniger Östrogen und Progesteron produzierten als die amerikanischer Frauen. Diese drei Faktoren zusammengenommen schienen eine Erklärung für die unterschiedliche Rate der Brustkrebserkrankungen zu liefern. Dies erklärte auch, warum asiatische Frauen nach ihrer Auswanderung in die Vereinigten Staaten zunehmend an Brustkrebs erkrankten: Dank der amerikanischen Ernährung setzte die erste Regel früher ein, die Frauen nahmen zu und produzierten mehr Östrogen. Damit war die Debatte um Umweltgifte, Elektrosmog und Luftverschmutzung beigelegt. »Wenn heute jemand behauptet, dass
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