Was der Hund sah
beschrieb ihn trotzdem als jemanden, »der sich in der Regel auf eine Weise verhält, die von seiner Gesetzestreue zeugt und in der Öffentlichkeit auf Vertrauen stößt«. Das sagt man über jemanden, dessen Akte man nicht gelesen hat, weshalb man aus dem Bericht der Christopher Commission den Schluss ziehen könnte, das Problem der Polizei wäre aus der Welt, wenn die Vorgesetzten die Personalakten der Beamten aufschlagen würden. Das Problem der Polizei von Los Angeles waren nicht fehlende Gesetze, sondern deren mangelnde Umsetzung. Die Beamten mussten sich nur an die bereits bestehenden Regeln halten, doch das war natürlich nichts, was die reformhungrige Öffentlichkeit hören wollte. Die Lösung von Problemen mit einer Exponentialverteilung widerspricht nicht nur unserem moralischen, sondern auch unserem politischen Empfinden. Darum kommen wir fast zwangsläufig zu dem Schluss, dass wir die Obdachlosen nicht deshalb so lange als undifferenzierte Masse behandelt haben, weil wir es nicht besser wussten. Wir wollten es nicht besser wissen. Die alte Methode war einfacher.
Lösungen, die Exponentialverteilungen ernst nehmen, sind bei den Konservativen wenig beliebt, weil sie eine Sonderbehandlung für Menschen vorsehen, die keine Sonderbehandlung verdienen. Doch auch bei den Linken kommen sie kaum an, weil sie Effizienz über Gerechtigkeit stellen und an eine kalte Kosten-Nutzen-Rechnung der Chicago School erinnern. Selbst die Aussicht auf Einsparungen in Millionenhöhe, sauberere Luft und bessere Polizeikräfte trösten kaum über dieses Unwohlsein hinweg. Denvers Bürgermeister John Hickenlooper hat sich in den vergangenen Jahren unermüdlich um das Thema Obdachlosigkeit gekümmert. Dieses Jahr widmete er diesem Thema in seinem jährlichen Rechenschaftsbericht mehr Zeit als jedem anderen. Bewusst hielt er seine Rede in einem Park in der Innenstadt, in dem sich Tag für Tag die Obdachlosen mit ihren Einkaufswagen und Mülltüten einfinden. In Radiosendungen erklärt er immer wieder, was die Stadt zur Lösung des Problems unternimmt. Er hat Untersuchungen in Auftrag gegeben, um zu zeigen, welche finanzielle Belastung die Obdachlosen für die Stadt darstellen. Aber er sagt: »Es gibt immer noch Leute, die mich im Supermarkt ansprechen und sagen: ›Ich finde es unglaublich, dass Sie diesen Pennern helfen.‹«
5.
Vor einigen Jahren bekam Marla Johns frühmorgens einen Anruf von ihrem Mann Steve. Er war auf Streife. »Er hat mich mit seinem Anruf aufgeweckt«, erinnert sie sich. »Er hat geschluchzt und geweint. Ich habe erst gedacht, es ist was mit einem Kollegen passiert und hab ihn gefragt, mein Gott, was ist los? Und er hat gesagt, Murray sei letzte Nacht gestorben.« Er war an Darmblutungen gestorben. Auf der Polizeiwache gedachten einige der Beamten Murray in einer Schweigeminute.
»Ich denke oft an ihn«, fährt Marla fort. »Jetzt ist bald wieder Weihnachten, da hab ich ihm immer was geschenkt. Damit er ein paar warme Handschuhe, eine Decke und einen Mantel hatte. Es war ein gegenseitiger Respekt. Einmal ist ein betrunkener Patient vom Bett gesprungen und auf mich losgegangen. Da ist Murray dazwischengegangen, hat ihm gedroht und gesagt: ›Fass meinen Engel nicht an.‹ Solange sie ihn unter Beobachtung gestellt hatten, ist es ihm prima gegangen. Er hatte Hausarrest, hat einen Job gefunden, Geld gespart, ist jeden Tag zur Arbeit und hat nicht getrunken. Er hat alles gemacht, was man ihm gesagt hat. Es gibt Menschen, die gute Bürger werden, wenn jemand ein Auge auf sie hat. Murray hat jemanden gebraucht, der auf ihn aufpasst.« Doch in Reno gab es keinen Ort, an dem Murray den Halt bekommen hätte, den er brauchte. Irgendjemand muss wohl der Ansicht gewesen sein, das sei zu teuer.
»Ich habe meinem Mann gesagt, ich würde mich um seine Beerdigung kümmern, wenn sich sonst niemand meldete«, sagt Marla. »Ich wollte nicht, dass er in einem anonymen Grab liegt.«
13. Februar 2006
Bilderrätsel
Brustkrebs, Luftkrieg und die Grenzen des Sehens
1.
Zu Beginn des Ersten Golfkriegs entsandten die Vereinigten Staaten zwei Staffeln F-15E Strike Eagle Kampfjets, um die Scud-Raketen, mit denen der Irak Israel beschoss, ausfindig zu machen und zu zerstören. Die Raketen wurden vor allem nachts von umgebauten Tiefladern aus abgeschossen, die sich gut getarnt in einem rund tausend Quadratkilometer großen Areal bewegten. Die Kampfjets sollten in der Region von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang patrouillieren. Wenn
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