Was der Hund sah
eine Rakete abgeschossen wurde, dann zeichnete sich ihr Schweif deutlich am Nachthimmel ab. Ein Pilot sollte zur Abschussstelle fliegen, den Wüstenstraßen folgen, und das Ziel mit Hilfe eines hochmodernen, 4,6 Millionen Dollar teuren Geräts namens Lantim orten, das hochauflösende Infrarotaufnahmen von einem 8 Kilometer breiten Streifen unterhalb des Flugzeugs lieferte. Es konnte doch nicht so schwer sein, einen riesigen Tieflader in der Mitte einer leeren Wüste zu finden!
Die ersten Erfolgsmeldungen ließen nicht lange auf sich warten. Die Generäle von Desert Storm waren erfreut. »Nach dem Krieg bin ich einmal raus zum Luftwaffenstützpunkt Nellis gefahren«, erinnert sich Barry Watts, früherer Colonel der Air Force. »Sie hatten eine riesige Ausstellung aufgebaut mit allen Jets, die in Desert Storm Einsätze geflogen sind. Vor jedem hatten sie ein Plakat mit einer Zahl, auf dem stand, was dieses Flugzeug getroffen hat und was jenes Flugzeug getroffen hat. Wenn man zusammenzählte, wie viele Scud-Rampen sie erwischt haben sollten, dann kam man auf gut einhundert.« Für die Generäle der Air Force waren das keine Schätzungen, sondern sichere Zahlen. Sie hatten eine 4 Millionen Dollar teure Kamera, die fast perfekte Bilder lieferte, und kaum eine Vorstellung ist in unserer Kultur so fest verankert wie die, dass Bilder die Wahrheit sagen. »Fotos lügen nicht, und sie können nicht lügen. Das ist ein Glaubenssatz«, schrieben Charles Rosen und Henri Zerner. »Wir vertrauen der Kamera mehr als unseren eigenen Augen.« So wurde die Jagd nach den Scud- Raketen zu einem vollen Erfolg erklärt - bis die Kampfhandlungen endeten und die Air Force die Effizienz der Luftschläge im Irakkrieg überprüfen ließ. Nach den Ergebnissen des Untersuchungsteams war die tatsächliche Zahl der Scud-Abschüsse gleich null.
Das Problem war, dass die Piloten nachts operierten, wenn die Tiefensicht beeinträchtigt ist. Lantim konnte zwar im Dunkeln sehen, doch die Kamera funktionierte nur, wenn man sie auf die richtige Stelle richtete, und die war nicht immer eindeutig. Die Piloten hatten nur fünf Minuten Zeit, um ihr Ziel zu entdecken, denn die Iraker versteckten sich sofort nach dem Abschuss in einem der zahlreichen Kanäle unter der Autobahn zwischen Bagdad und Jordanien, und der Bildschirm, mit dessen Hilfe die Piloten die Wüste absuchten, maß gerade einmal 15 mal 15 Zentimeter. »Es war so, als würde man die Autobahn entlangfahren und dabei durch einen Strohhalm schauen«, sagte Generalmajor Mike DeCuir, der während des Kriegs zahlreiche Einsätze geflogen war. Außerdem war unklar, wie die Scud-Rampen auf dem Bildschirm aussehen würden. »Wir hatten ein Aufklärungsbild von einer Rampe am Boden. Aber man musste sich vorstellen, wie das Ding in schwarz-weiß aus 6 000 Meter Höhe und in 7 oder 8 Kilometer Entfernung aussieht. Bei der damaligen Auflösung konnte man erkennen, dass es ein Lastwagen war und Räder hatte, aber mehr auch nicht.« Die Analyse nach dem Krieg ergab, dass viele der getroffenen Ziele in Wirklichkeit Attrappen gewesen waren, die die Iraker aus alten Lastwagen und Raketenteilen zusammengebaut hatten. Andere waren Tanklastzüge, die Öl nach Jordanien transportierten. Ein Tanklastzug ist schließlich nichts anderes als ein Tieflader mit einem langen Metallzylinder, den man gut und gern mit einer Rakete verwechseln kann. »Das Problem hatten wir immer«, berichtete Watts, der dem Analyseteam angehörte. »Es ist dunkel. Sie denken, Sie haben was auf dem Schirm. Sie fahren die Waffen aus und schießen Ihre Raketen ab. Aber Sie haben gar keine Ahnung, was Sie da getroffen haben.« Mit anderen Worten: Man kann eine hochmoderne Kamera bauen, die in der Lage ist, mitten in der Nacht Bilder zu liefern, doch das System funktioniert nur, wenn die Kamera auf das richtige Objekt gerichtet ist - und selbst dann erklären sich die Bilder nicht von selbst. Sie müssen interpretiert werden, und der menschliche Anteil der Aufgabe, die Interpretation, ist oftmals schwieriger als der technische Aspekt, also die Fotografie. Das ist die Lektion aus der Jagd nach den Scud-Raketen: Bilder versprechen zwar Klarheit, doch oft stiften sie Verwirrung. Der Zapruder-Film legte die Diskussion um John F. Kennedys Ermordung nicht bei, sondern fachte sie noch zusätzlich an. Das Rodney-King-Video führte zu Protesten gegen die Polizeigewalt, doch als die Geschworenen dasselbe Video sahen, sprachen sie die angeklagten
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