Was der Hund sah
psychischen, physischen und neurologischen Fehlfunktionen litten. Die meisten waren als Kinder Opfer von Gewalt und sexuellem Missbrauch geworden und litten unter Gehirnverletzungen oder geistigen Behinderungen. Im Jahr 1998 veröffentlichte sie ihre Autobiografie unter dem Titel Guilty by Reason of Insanity (Schuldig wegen Unzurechnungsfähigkeit). Sie hatte als Letzte mit Ted Bundy gesprochen, ehe dieser auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet worden war. Es gibt wenige Menschen auf der Welt, die sich so intensiv mit Serienmördern beschäftigt haben wie Dorothy Lewis, und als sie von ihrer Freundin Betty hörte, dass sie sich unbedingt Frozen ansehen müsse, hatte sie wenig Lust, das auch noch im Theater zu erleben.
Doch sie erhielt weitere Anrufe. Die Kritiker überschlugen sich, und Frozen wurde für den Tony Award nominiert. Sämtliche ihrer Bekannten, die das Stück gesehen hatten, riefen sie an und sagten ihr, sie solle unbedingt hineingehen. Im Juni erhielt sie schließlich einen Anruf von einer Mitarbeiterin des Theaters, in dem Frozen aufgeführt wurde. »Sie hätte gehört, dass ich auf dem Gebiet forsche und dass ich Mörder persönlich kennen gelernt hätte, und deswegen wollte sie mich fragen, ob ich nicht nach einer der Aufführungen an einer Podiumsdiskussion teilnehmen wollte«, berichtet Lewis. »Ich hatte das schon einmal gemacht, und es hat mir großen Spaß gemacht, also habe ich zugesagt. Und dann habe ich sie noch gebeten, mir ein Manuskript zu schicken, damit ich das Stück lesen konnte.«
Das Manuskript kam, und Lewis begann mit der Lektüre. Gleich zu Beginn des Stücks stolperte sie über den Satz »es war einer von diesen Tagen«. Ein Mörder, den Lewis in ihrem Buch beschrieben hatte, hatte diesen Satz gesagt. Sie hielt es zunächst für einen Zufall. »Dann kam eine Szene mit einer Frau, die in einem Flugzeug sitzt und an einen Freund schreibt. Die Frau heißt Agnetha Gottmundsdottir und schreibt an einen Kollegen, einen Neurologen namens David Nabkus. Da wurde mir plötzlich klar, dass hier irgendwas nicht stimmt, und ich wusste mit einem Mal, warum mir so viele Leute gesagt hatten, ich sollte mir das Stück ansehen.«
Lewis unterstrich eine Zeile nach der anderen. Sie hatte an der medizinischen Fakultät der New York University gearbeitet. Die Psychiaterin in Frozen arbeitete an der medizinischen Fakultät der New York University. Lewis und Pincus hatten für eine Studie die Gehirnläsionen von 15 Todeskandidaten untersucht. Gottmundsdottir und Nabkus untersuchten die Gehirnläsionen von 15 Todeskandidaten. Bei einer Untersuchung hatte der Todeskandidat Joseph Franklin die Psychiaterin Lewis in einer grotesken, sexuellen Weise beschnüffelt. In dem Stück wird Gottmundsdottir vom Serienmörder Ralph beschnüffelt. Als Lewis Ted Bundy untersuchte, küsste sie ihn auf die Wange. In einigen Produktionen von Frozen küsst Gottmundsdottir Ralph auf die Wange. »Es war alles da. Als ich das Stück gelesen habe, habe ich mich selbst wiedererkannt. Ich habe mich bestohlen und verletzt gefühlt. Es war, als hätte mir jemand, ich weiß nicht, ich glaube nicht an die Seele, aber so etwas wie mein Innerstes gestohlen.«
Lewis sagte die Podiumsdiskussion ab. Sie nahm sich einen Anwalt. Und sie kam aus New Haven nach New York, um Frozen zu sehen. »In meinem Buch beschreibe ich, wie ich mit einem kleinen schwarzen Koffer aus dem Haus renne, und genauso fängt das Stück an, mit Agnetha, die mit einem schwarzen Köfferchen in eine Vorlesung rennt.« Lewis hatte geschrieben, sie habe ihre Schwester als Kind in den Bauch gebissen. Auf der Bühne fantasiert Agnetha laut, wie es wäre, einer Stewardess in den Hals zu beißen. Nach dem Stück kamen die Schauspieler auf die Bühne und beantworteten Fragen aus dem Publikum. »Einer der Zuschauer hat gefragt, woher Bryony Lavery die Idee für die Psychiaterin hatte«, erinnert sich Lewis. »Und der Hauptdarsteller hat geantwortet, ›aus einer englischen Fachzeitschrift^« Lewis ist eine zierliche Frau mit großen, kindhaften Augen, die sich bei der Erinnerung weiten. »Ich hätte ja gar nichts dagegen gehabt, wenn die Psychiaterin Frontallappen oder das limbische System erforscht hätte. Das ist veröffentlicht, das sieht man oft im Fernsehen in Law & Order oder CSI: Den Tätern auf der Spur, die verwenden dauernd Material von Jonathan und mir. Das freut mich. Das wäre okay gewesen. Aber sie hat viel mehr genommen. Sie hat Sachen aus meinem Leben
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