Was der Nachtwind verspricht
Worüber freust du dich so fürchterlich?«
»Du wirst uns noch in dieser Woche verlassen, um nach Russland zu reisen.«
»Und das findest du gut?«
Sie nickte. Inzwischen strahlte sie eindeutig vor Begeisterung. »Natürlich, du wirst dort nämlich deine Braut abholen.«
Wassili schwieg einen Moment. Auch danach konnte er auf die alarmierenden Worte seiner Mutter lediglich erwidern: »Ich bin nicht Stefan, Mutter. Er muss te gehen und seine Braut abholen. Ich habe Gott sei Dank keine Braut.«
»Jetzt hast du eine.«
Er sprang auf und stellte sich vor sie hin, die männliche Verärgerung in Person. Er konnte sich nicht daran erinnern, jemals so wütend auf seine Mutter gewesen zu sein. Es war einfach undenkbar, dass sie sich in sein Leben einmischte. Sie wusste das und hatte es auch immer respektiert. Sie konnte ihm ihre Standpauken und Moralpredigten halten, sie durfte sich Sorgen um ihn machen, aber das hier? Was zum Teufel hatte sie sich nur dabei gedacht?
»Was immer du auch getan hast, Mutter, mach es wieder rückgängig. Wenn du dich dabei in Verlegenheit bringst, bist du selbst schuld daran. Ich möchte kein Wort mehr davon hören.«
Es war unglaublich: Sie lächelte immer noch und sagte ihm auch gleich, warum. »Dir wird wohl nichts anderes übrigbleiben, als noch etwas mehr davon zu hören, mein Lieber ...«
»Mutter ...« versuchte er sie zu unterbrechen.
»... denn da ich nichts getan habe, kann ich auch nichts rückgängig machen.«
»Das ist doch lächerlich. Natürlich hast du ...«
»Nein, ich nicht. Die Tatsache, dass in Russland deine Braut auf dich wartet, ist ganz allein das Werk deines Vaters.«
Als sie ihm dieses Stück des Puzzles geliefert hatte, begann Wassili, sich zu entspannen. Es sah seiner Mutter gar nicht ähnlich, ihm einen Streich zu spielen, aber er nahm an, dass es für alles ein erstes Mal gab.
»Und wie soll er diese Heirat arrangiert haben? Aus dem Grab heraus?«
Sie holte tief Luft. »Das war unangebracht, Wassili.«
»Genau wie dein kleiner Scherz«, gab er zurück.
»Ein Scherz? Du beleidigst mich, wenn du denkst, dass ich über so etwas scherzen würde.«
»Aber es ist jetzt vierzehn Jahre her ...«
»Ich weiß genau, wie lange dein Vater schon tot ist.« Ihr Ton war schneidend, sie war immer noch äußerst verärgert über ihn. »Aber laut dem Brief, den ich erhalten habe, wurde deine Verlobung vor fünfzehn Jahren geschlossen. Das müsste dann zu der Zeit gewesen sein, als dein Vater das letzte Mal in Russland war.«
»Du erwartest von mir zu glauben, dass er so etwas getan hat, ohne dir davon zu erzählen - oder mir?«
»Ich weiß nicht, warum er es nie erwähnt hat, aber auf alle Fälle hat er diese Verlobung arrangiert. Er hat wahrscheinlich gedacht, dass noch genügend Zeit sei, um uns davon in Kenntnis zu setzen. Schließlich warst du damals noch sehr jung ...«
»Ich war sechzehn, wohl kaum noch in den Windeln«, sagte er wütend.
Sie fuhr fort, als ob er sie nicht unterbrochen hätte: »Aber im Jahr darauf starb er.«
Wassilis Augen sprühten inzwischen Funken. Das klang alles viel zu ernst, als dass er nur wütend darüber sein konnte. »Es ist eine Lüge«, sagte er mit Nachdruck. »Ich kann mir keinen Grund vorstellen, weshalb er das getan haben soll.«
Sie lächelte wieder. Das flößte ihm die Ahnung ein, dass ihre Antwort ihm nicht gefallen würde. »Es gibt einen. Deine Verlobte ist die Tochter eines sehr guten Freundes deines Vaters, Baron Rubliow. Du weißt doch noch, wie oft Simeon von dem Baron gesprochen und wie sehr er ihn geschätzt hat. Dein Vater ist jedes Jahr für mehrere Monate nach Russland gereist, um ihn zu besuchen.«
Wassili konnte sich in der Tat daran erinnern. Er erinnerte sich voller Groll an die Zeit, die sein Vater fern von seinem Zuhause verbracht hatte. Als er und seine Freunde auf ihrer großen Reise waren, die sie auch nach Russland und an den Hof des Zaren geführt hatte, hatte er aus erster Hand erfahren, was sein Vater so anziehend an Russland gefunden hatte. Die Frauen dort - zumindest die von Adel - waren unglaublich freizügig. Sie warteten nicht einmal bis zu ihrer Heirat, bevor sie sich einen Liebhaber nahmen. Jungfräulichkeit war dort offensichtlich kein so kostbares Gut wie in der restlichen Welt.
»Ich jedenfalls kann mir gut vorstellen, dass dein Vater diesen Verlobungsvertrag unterzeichnet hat«, sprach die Gräfin weiter. »Schließlich gab es hier in Kardinien niemanden, den er auch nur halb
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