Was der Nachtwind verspricht
verzeihe ich Papa nie.«
»O Alex.« Anna seufzte. »Er will doch nur dein Bestes.«
»Dann ist es doch um so schlimmer, dass wir uns nicht darüber einig werden konnten, was mein Bestes ist.«
Anna schüttelte traurig den Kopf. »Wie wäre es, wenn du zum Abendessen ...«
»Ich werde nicht kommen.«
Aber Alexandra kam doch. Besser gesagt, sie entschloss sich zu einem kurzen Auftritt, als ihr einfiel, dass etwas schlechtes Benehmen und ein oder zwei Geschmacklosigkeiten in Gegenwart des Kardiniers und ihres Vaters Wassili vielleicht dazu veranlassen würden, sich gegen die Heirat zur Wehr zu setzen. Sie würde natürlich nichts gar zu Haarsträubendes tun, nichts, was sie nicht schon vorher einmal getan hatte, damit ihr Vater nicht sagen konnte, ein solches Benehmen von ihr sei völlig ungewöhnlich, obwohl es das natürlich war. Und es würde ihrem Vater Gelegenheit geben zu sehen, wie sehr Wassili sie verabscheute und dass ihre Anziehungskraft, die Konstantin bei ihrer ersten Begegnung mit Wassili zu erkennen geglaubt hatte, gegen einen solchen Abscheu und solche Verachtung gewiss nicht ankommen würde.
Der Zeitpunkt ihres Auftritts hätte nicht besser gewählt sein können. Bei dem üppigen Abendessen, das Konstantin angeordnet hatte, um den Kardinier zu beeindrucken, war gerade der Hauptgang serviert worden. Anna hatte ihr bestes Kleid angezogen, und auch Konstantin sah sehr vornehm aus in seiner prächtigen Kleidung. Und Graf Petroff erst! Sie durfte ihn nicht mehr ansehen. Ein kurzer Blick auf seinen herrlichen Körper, auf sein schönes Gesicht, und sie vergaß beinahe, weshalb sie hier war.
Er war natürlich auf das äußerste herausgeputzt. Von diesem arroganten Lackaffen hatte sie auch gar nichts anderes erwartet. Sein Freund mit den freundlichen blauen Augen ebenfalls. Er war zufällig der erste, der sie in der Tür stehen sah. Er wirkte nicht sehr schockiert, sondern nur überrascht, dass sie sich zum Essen nicht umgezogen hatte und immer noch ihre Arbeitskleidung trug. Ihr Haar war sogar noch unordentlicher als vorhin, da sie mit voller Absicht noch einige Strähnen daraus gelöst hatte. Aber sie war nicht hier, um sich an den Tisch zu setzen.
»Achtet gar nicht auf mich. Ich hole mir nur schnell einen kleinen Happen, da ich ja heute Abend keine Zeit zum Essen habe.«
Sie hoffte, dass sich zumindest einer der Anwesenden über ihre Bemerkung entrüstete, blickte sich aber nicht um, um es herauszufinden. Alexandra schlenderte zum Tisch und schnappte sich ein bereits gebuttertes Stück Brot vom Teller des blauäugigen Kardiniers. Die Tatsache, dass sie ihm nicht einmal vorgestellt worden war, machte alles noch viel schlimmer, aber sie hielt ihn für den einzigen, der kein Wort über ihr Benehmen sagen würde.
Sie sah ihn an und stellte fest, dass er jetzt eher schok-kiert als überrascht war. Nach einem kleinen Lächeln als Dank für das Essen blickte sie zu den Anwesenden hinüber. Anna hatte eine Hand auf ihren Mund gepresst . Sie konnte ja schließlich nicht einfach loslachen und versuchte jetzt sicher, ihr Gelächter zu unterdrücken. Konstantins Gesicht war gerötet - ganz gewiss nicht nur aus Verlegenheit. Alexandra und ihr Vater wären wahrscheinlich in einen höllischen Streit über ihre ungezogenen Manieren geraten - wenn sie hier gewesen wäre. Aber sie würde nicht mehr hier sein, um mit ihm streiten zu können ...
»Alexandra ...« stieß Konstantin mit erstickter Stimme hervor.
Sie warf ihm einen unschuldigen, fragenden Blick zu, der ihn ahnen ließ, dass sie auf einen Wutausbruch von ihm wartete und bereit war, ihm die Stirn zu bieten. Als ihm dies klar wurde, schluckte er seinen Zorn hinunter und hoffte, dass sie ihn nicht noch mehr in Verlegenheit bringen würde.
Das hätte sie jedoch getan, wenn ihr schöner Plan nicht plötzlich nach hinten losgegangen wäre. Graf Petroff hatte die einmalige Gelegenheit, die sie ihm bot, nicht ergriffen, sondern war vom Tisch aufgestanden und stand nun hinter ihr.
»Ich freue mich, dass Ihr uns doch noch Gesellschaft leistet, Baronesse, auch wenn wir nur kurz das Vergnügen haben. Ich habe dadurch Gelegenheit, ein Versäumnis zu korrigieren. Würdet Ihr mir bitte Eure Hand reichen?«
Sie drehte sich misstrauisch zu ihm um. Ihm ihre Hand reichen? Wenn er vorhatte, ihr für diesen kleinen Diebstahl auf die Hand zu klopfen wie einem unartigen Kind, würde sie ihm das doppelt und dreifach zurückzahlen. Aber als sie ihm zögernd ihre freie Hand
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